von Sven
Ab Oktober 2017 können die Hochzeitsglocken für Schwule und Lesben in Deutschland läuten - eine Woche nachdem der Bundestag die Homo-Eheschließung mit großer Mehrheit beschlossen hat, hat auch der Bundesrat das neue Gesetz zur „Ehe für Alle“ abgesegnet. Viele Homosexuelle haben diesen Tag über Jahre herbeigesehnt und waren zu Tränen gerührt als es endlich soweit war. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird nun Schwarz auf Weiß im Paragraf 1353 stehen, dass auch schwule und lesbische Paare heiraten dürfen: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Mit der Ehe kommt auch das gemeinsame Adoptionsrecht für Homosexuelle. Sicherlich kann die LGBT-Gemeinde das Jahr 2017 als einen Erfolg verbuchen, aber wer sich nun zurücklehnen will, der wird schnell merken, dass Akzeptanz und Toleranz gegenüber Homosexuellen noch lange nicht in der breiten Gesellschaft angekommen sind.
Wenn Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und andere Anderslebende beim Christopher Street Day (CSD) auf die Straße gehen um für ihre Rechte zu demonstrieren, dann bleiben die Plakate in Zukunft nicht leer. Der Gay Pride ist immer noch eine Demonstration und nicht nur eine schrille und bunte Party. Die jungen Generationen mögen es vielleicht nicht wissen, aber in den 1960er Jahren gehörte es zum Alltag der Polizei in New York, Schwulenbars gewalttätig zu stürmen und die anwesenden Menschen bei Razzien zu kontrollieren und zu schikanieren. Nach unzähligen Anzeigen und Diffamierungen von Homosexuellen, entschloss die Community in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 sich gegen die Staatsmacht in der Christopher Street aufzulehnen und nicht mehr tatenlos die Schikanen über sich ergehen zu lassen. Der Widerstand in der Schwulenbar „Stonewall Inn“ in Greenwich Village, war der Beginn des Kampfes für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Zahlreiche heterosexuelle New Yorker Bürger solidarisierten sich dabei mit der LGBT-Community im Widerstand gegen die polizeiliche Diskriminierung. Seit diesen Straßenschlachten wird in der Stadt, die niemals schläft, der letzte Samstag im Juli genutzt um an diese Ereignisse zu erinnern und weiter für die Rechte der homosexuellen Minderheit zu demonstrieren.
Es sollte aber zehn weitere Jahre dauern bis sich auch in Deutschland Schwule und Lesben öffentlich auf der Straße gezeigt haben um z.B. gegen die Abschaffung des Paragraf 175 zu kämpfen. Homosexualität war immer noch unter Strafe gestellt und wurde noch Jahre lang als Krankheit eingestuft. Zustände, die man sich bereits heute nicht mehr vorstellen kann. Bei den ersten CSDs in Bremen und Berlin gingen rund 400 überwiegend vermummte Personen auf die Straßen. Unter den Demonstranten herrschte noch große Angst das Gesicht öffentlich zu zeigen.
Das Jahr 2017 ist aber nicht nur wegen der Homo-Ehe ein Erfolg für die Queer-Community, denn auch die Verurteilten nach dem Paragraf 175 wurden in diesem Jahr rehabilitiert. Strafgerichtliche Verurteilungen und gerichtliche Unterbringungsanordnungen sind durch das Gesetz aufgehoben worden. Das bedeutet, dass alle nach dem 8. Mai 1945 verurteilten Bürger nicht mehr wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen vorbestraft sind. Ein wichtiger Schritt für die Rückerlangung der Würde der verurteilten Homosexuellen, die bestraft wurden, weil sie einen Menschen gleichen Geschlechts geliebt haben. Doch kommt dieser Schritt Jahre und Jahrzehnte zu spät – 2017 sind die meisten Verurteilten des Paragraf 175 bereits verstorben.
Die „Ehe für Alle“ ist in diesem Jahr nur ein weiteres Etappenziel auf einem langen Weg, denn die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen bewirkt noch keine generelle gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz. Noch immer ist die gleichgeschlechtliche Liebe in vielen Bereichen ein Tabu-Thema. Das Paradebeispiel ist der Sport, wo Homosexualität keinen Platz hat und vor allem mit Schwäche verknüpft wird. Auch heutzutage gibt es in der Bundesliga keinen einzigen offen schwul-lebenden Profi-Fußballer. In andere Sportarten bietet sich überwiegend das gleiche Bild. Ebenso ist es im Berufsleben. Homosexuelle sind als Nachbar erwünscht, niemand möchte Minderheiten diskriminieren oder möchte, dass Schwule und Lesben durch das Gesetz benachteiligt werden. Aber wenn es um die alltäglichen Situationen geht, wo Kollegen von ihrem Urlaub mit dem Partner erzählen oder man ein küssendes Pärchen auf der Straße sieht, da hört die Tolerant und Akzeptanz bei vielen Deutschen auch schon wieder auf. Die Homophobie hat eine neue Gestalt und steckt im Detail. Von Normalität und dem Ziel in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, sind Homosexuelle noch weit entfernt.
Ein Thema, wo schwule Männer sich bis heute unter Generalverdacht gestellt fühlen, ist das Blutspenden. Das Blut-Transfusionsgesetz sieht ein striktes Verbot für Menschen mit bestimmten Krankheiten (Hepatitis B oder C, Malaria, Aids oder Syphilis), für Drogenabhängige, Prostituierte und eben auch für homosexuelle Männer vor. Blutspenden sind knapp und können Leben retten, aber der Staat möchte die Hilfe der Schwulen anscheinend nicht. Das Klischee, dass Aids eine rein schwule Krankheit sei, sollte im Jahr 2017 längst veraltet und überholt sein. Es gibt keinen Grund mehr Schwule generell von der Spende auszuschließen – jeder sexuell aktive Mensch kann sich mit HIV anstecken. Dieser Ausschluss ist diskriminierend und hat nicht mal einen Ursprung in der EU-Richtlinie, auf der die deutsche Regelung beruht. Sie besagt, dass „Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt“, vom Blutspenden auszuschließen sind. Von Homosexuellen wird dort nichts geschrieben – erst in der deutschen rechtlichen Umsetzung wird die Rechtsauslegung zur Diskriminierung.
Die Verbesserung der Rechtssituation von Trans- und Intersexuellen muss durch eine Reform des Transsexuellengesetzes dringend vorangetrieben werden. Weiterhin sollte ein Verbot im Gesetz verankert werden, dass Kinder mit unklarem Geschlecht in jungem Alter operiert werden – hier wird eine Fremdbestimmung des Geschlechts vorgenommen, die das Kind nicht selbst gewählt hat. Eine Empathie für Menschen, die anders sind als man selbst, ist ein Ziel, das nur mit viel Aufklärungs- und Informationsarbeit erreicht werden kann. Wenn wir die Kennzeichnungen, wie schwarz oder weiß, homo- oder heterosexuell, arm oder reich usw. einfach mal beiseitelassen, dann merken wir schnell, dass wir doch alle gleich sind.
Heterosexuelle, Schwule und Lesben sollten ebenfalls für Transgender, Bisexuelle, Pansexuelle und alle weiteren Formen von Anders-Liebenden einstehen und gegen die Diskriminierung kämpfen. Toleranz in einer Gesellschaft misst sich daran, wie die Mehrheit mit ihren Minderheiten umgeht. Wir alle kämpfen als Gemeinschaft für eine bessere Welt, in der es eines Tages nicht mehr nötig sein wird zu demonstrieren, weil wir alle gleich sind und jeder Mensch mit seinem Nächsten empathisch und respektvoll umgeht. Eine Utopie, die sich gut anfühlt und die in diesen unruhigen Zeiten auf der Welt jeden einzelnen ein Stück näher zusammenrücken lässt.
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