Männer, die beide Geschlechter lieben, werden von vielen nur belächelt. Ihre Bisexualität wird lediglich als Phase abgetan, als kurzweilige Zwischenstation auf dem Weg zur Homosexualität. Doch stimmt das? Ist ein solches Schwarz-Weiß Denken heutzutage überhaupt noch zulässig? Unser Gay.de-Autor Sven ist dem Phänomen des Bi-Shamings auf die Spur gegangen.

von Sven 

 

 

Was ist Bi-Shaming?

Der Spruch „Bisexualität ist nur ein Phase“ ist Teil des Bi-Shaming, bei dem bisexuelle Männer in der Gay Community häufig nicht voll akzeptiert oder sogar ausgeschlossen werden. Flapsig wird es im bi-shaming mit einer abfälligen Handbewegung und einem Rollen der Augen abgetan, was für andere Menschen nun mal ihre sexuelle Realität ist. Im Volksmund der Szene wird Bisexualität als die Straße zwischen Heterosexualität und Homosexualität angesehen - aber eben nicht als Ziel- oder Endpunkt der persönlichen Entwicklung.

 

 

Bisexualität: Schwarz/Weiß-Denken in der Gay-Szene

Im Jahr der „Ehe für Alle“ wird überall sehr offen über Sexualität gesprochen, sei es in den Medien, in der Schule oder auch im Elternhaus. Die Paraden zum CSD zelebrieren die bunte Vielfalt und plakatieren Freiheit für die Liebe. Doch während Homosexualität inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint, wird das Thema Bisexualität weiterhin als eine Art Fremdkörper angesehen. Bisexuelle Menschen, die nicht in die „Straight“- oder „Gay“-Kategorie passen, sind vielen erst einmal suspekt. Einerseits können Bi-Kerle für Schwule zwar einen gewissen sexuellen Reiz (Stichwort: Heterolike) darstellen, doch andererseits wollen nur die wenigsten eine Beziehung zu einem bisexuellen Mann eingehen. Wir haben uns mit Florian, 28 Jahre alt und offen bisexuell, getroffen und uns über seine persönlichen Alltagserfahrungen unterhalten. 

 

Wie würdest du dich selbst bezeichnen? Hetero? Homo? Bi? Und wie hast du bisher in deinem Leben deine Sexualität ausgelebt?

Ich bin bisexuell. Zumindest ist das die Bezeichnung, die am ehesten auf mich zutrifft. Ich kenne keinen anderen Begriff dafür. Ich bin in einer Kleinstadt groß geworden und habe mich auch dort schon geoutet, dass ich auch auf Männer stehe. Bi-shaming gehörte damals leider auch dazu. Doch ich habe über viele Jahre eine feste Freundin gehabt. Ich war ihr auch immer treu, sie wusste, dass ich bi bin, aber ich habe es eben nie ausgelebt. Ich bin zufrieden, so wie es ist und fühle mich wohl. Ich lebe ganz offen damit und fühle mich nicht falsch – ich bin eben nicht heterosexuell und nicht homosexuell. So einfach ist das. Also ich habe früh gespürt, dass ich Männlichkeit an sich anziehend finde. Ich liebe die Kraft, die von Männern ausgeht. Ich mache selbst viel Sport und mich zieht der maskuline und muskulöse männliche Körper sehr an. Irgendwann wurde diese Anziehung zur Begierde.

 

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Die Flagge repräsentiert mit ihren drei Farben die Bisexualität. Das obere pink soll die Homosexualität repräsentieren, während das untere blau die Farbe der Heterosexualität sei. Die Farbe in der Mitte mischt sich demnach aus den beiden anderen heraus und ergibt die Farbe der Bisexualität :bite:

 

Wie war es in deiner Beziehung mit deiner Ex-Freundin? Wann hast du damit Berührungspunkte gehabt, dass du auf Männer stehst? Und wieso hast du es in deiner Beziehung thematisiert? 

Ich habe mich mit meiner Ex-Freundin über meine Sexualität normal unterhalten. Warum? Ich weiß es nicht mehr. Es war einfach der offene und ehrliche Weg damit umzugehen. Aber in einer monogamen Beziehung war es eben nicht möglich, diese Orientierung auszuleben. Aber sicherlich kommt dann nach so vielen Jahren der Beziehung der Punkt, wo man sich entscheiden muss, was man will. Festigt man die heterosexuelle Beziehung und bekommt vielleicht Kinder und baut ein Haus? Oder eben man geht getrennte Wege. Das zweite ist in meinem Fall passiert und ich bin in die Großstadt gezogen, um eine Art neues Leben anzufangen. Das Interesse und diese Begierde, auch Männern nahe zu sein, waren einfach auch sehr stark in mir vorhanden und ich wollte nicht mein Leben lang etwas unterdrücken.

 

Wie fühlst du dich, seitdem du in dein „neues“ Leben umgezogen bist? Was hat sich seitdem getan und verändert?

In der schwulen Welt fühle ich mich wohl und ich mache viele neue Erfahrungen. Ich bekomme extrem viel Bestätigung, was mein Äußeres angeht, und lebe nun wirklich die bisexuelle Orientierung in meinem Wesen aus. Ich habe nun auch das Gefühl, dass ich mich in der Großstadt offener zu meiner Sexualität äußern kann. Allerdings muss ich mir ständig anhören, dass ich „auf dem Weg bin“ und „bald zu meinem Schwul-sein“ stehen werde. Ich finde es eine unglaubliche Einmischung in meine Intim- und Privatsphäre, wenn man mir mit so einem ignoranten Spruch entgegentritt. Ich urteile auch nicht über andere und ihre Sexualität. Nur weil ich bi-shaming am eigenen Leib erleben musste, bedeutet das nicht, dass ich selbst andere dafür beschämen muss. Niemand sollte niemand beschämen. Für mich ist es so schlimm, dass ich manchmal einfach sage, dass ich schwul bin, um dieser Intoleranz und den häufigen Diskussionen zu entgehen.

 

Kannst du mir einige Erlebnisse schildern, bei denen du diese Intoleranz besonders gespürt hast? Fühlst du dich benachteiligt, weil du bisexuell bist?

Es fängt ja schon in der Familie an: Meine Eltern verstehen meine Bisexualität als „Phase“, was es definitiv nicht ist. Seitdem ich mich geoutet habe, wird nicht mehr über mein Privatleben gesprochen. Was traurig ist, denn Akzeptieren bedeutet nicht, dass man einen Teil meines Lebens verschweigen muss. Meine Freunde Zuhause vermuten, dass ich durchaus was mit Jungs habe, haben aber nicht den Mut, mich darauf anzusprechen. Da behält man lieber für immer das Bild von mir und meiner Ex-Freundin im Kopf. Die Intoleranz und das bi-shaming bekomme ich vor allem von Homosexuellen zu spüren. Wenn das Thema Bisexualität aufkommt, dann wird mir meistens vorgeworfen, dass ich noch nicht weiß, dass ich schwul bin oder es an mir selbst noch nicht akzeptiere – nur deshalb sei ich bisexuell. Es fällt mir schwer, mich in dieser Schubladen-Welt zurechtzufinden. Ich empfinde das heterosexuelle Gehabe als falsch und dem rein homosexuellen Leben kann ich auch nur wenig abgewinnen. Manchmal fühle ich mich wie bei Hermann Hesses Steppenwolf innerlich zerrissen. Dabei liegt das Problem ja nicht bei mir, sondern bei der Gesellschaft, die mich in eine Schublade stecken möchte.

 

Wie ist denn deine eigene Theorie von Sexualität und sexueller Orientierung? Hast du dir darüber Gedanken gemacht?

Da kommen mir viele Inhalte aus meinem Studium in den Kopf und so manche Theorien bringen mich oft zur Weißglut. Ich finde diese einseitige heterosexuelle Matrix und das Positionieren in „eine“ Sexualität einfach lächerlich. Ist nicht mancher mehr, mancher weniger homo-, bi- oder heterosexuell? Gibt es nicht unzählige Facetten der Sexualität? Warum geißeln wir uns selbst immer mit dem Wunsch nach Eindeutigkeit und dem Verlangen, alles in ein bekanntes Raster zu pressen? Ich wünschte mir, dass es keine Geschlechterrollen und keine Kategorien für Sexualität gibt – die Menschen sollten frei aufwachsen, den Menschen zu leben oder zu begehren, den sie wollen.

 

Wie stehst du zum Thema Bisexualität? Musstest du schonmal bi-shaming selbst erleben? Könntest du dir eine Beziehung zu einem bisexuellen Mann vorstellen? Oder bist du vielleicht sogar selbst bisexuell und hast ähnliche Erfahrungen gemacht, wie Florian? Teile uns deine Gedanken und Erlebnisse in den Kommentaren mit.


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