Lederkerle mit nacktem Hintern, die sich auf offener Straße mit dem Riemen eins drüber ziehen, Trümmer-Transen bieten Trash auf der Bühne und das schwule Volk schunkelt dazu im Takt, bierselig vereint mit Hetero-CSD-Touristen. Der Christopher Street Day ist im Laufe der Jahre von der eigentlich politischen Parade zu einer Popo-Party verkommen, die vom Stadtmarketing für die Tourismuswerbung vereinnahmt wurde. Dabei steuert die LSBTG-Community auf alles andere als rosige Zeiten zu. Grund für ein Plädoyer für eine Veranstaltung, die ihrer historischen Bedeutung als Gay Pride March wieder gerecht wird.
Würde man in der feiernden Masse eine Umfrage zum Hintergrund des Spektakels starten, dürfte wohl bezweifelt werden, ob sich die Mehrheit der Besucher dessen Tradition überhaupt bewusst ist: Nach jahrzehntelangem Leben im Untergrund, Diskriminierung und Drangsalierung, gingen in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street die Gays nach einer Razzia auf die Straße, um im wahrsten Sinne des Wortes für ihre Rechte zu kämpfen. Aus dem Aufstand, der in allen großen Zeitungen zum Titelthema wurde, entwickelten sich unter anderem die politische Initiative Gay Liberation Front, die ersten Szene-Magazine und eben der jährliche Christopher Street Liberation Day oder Gay Pride March.
In Deutschland startete die Bewegung nach den Jahren der Nazi-Diktatur ebenfalls unter erschwerten Bedingungen. Begriffe wie 'widernatürlich' oder 'Unzucht' prägten den Umgang mit Schwulen noch lange in den Nachkriegsjahren. Und so starteten die ersten CSD-Märsche in der Bundesrepublik auch erst zehn Jahre nach den Ereignissen in New York. In Berlin und Bremen gingen nur wenige hundert Demonstranten auf die Straße, teilweise vermummt aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung. Erst am 11. Juni 1994 wurde im Zuge der Wiedervereinigung der §175 im Strafgesetzbuch, auch bekannt als der 'Schwulen-Paragraf', ersatzlos gestrichen.
Inzwischen ist die Lage der Homos in Deutschland zwar nicht mehr mit so turbulenten Zeiten vergleichbar, das hat aber dazu geführt, dass aus dem Protestmarsch still und leise eine bunte Inszenierung wurde, ein Event mit teilweise fünfstelligen Teilnehmerzahlen. Das bleibt nicht ohne Folgen: Die vom Steuerzahler zu tragenden Kosten für Sicherheit und Reinigung schießen mit den Besuchermassen in astronomische Höhen. Haken dabei: Kommen findige Lokalpolitiker in Zeiten klammer Kassen auf die Idee, das Spektakel von der Demonstration auf eine Party herabzustufen, wäre eine Fortsetzung finanziell kaum noch zu stemmen.
Dabei hätte die Community allen Grund, sich wieder in Stellung zu bringen. Im Rahmen der Studie Die enthemmte Mitte der Universität Leipzig wurden erschreckende Zahlen veröffentlicht: 40,1 Prozent der Bürger erklärten, es sei „ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.“ Im Rahmen einer Umfrage 2011 waren dies noch 'nur' 25,3 Prozent. Das in der Öffentlichkeit Funktionsträger der AfD Homosexuelle als degenerierte Spezies bezeichnen oder sogar Gefängnisstrafe für diese fordern, sollte alle Alarmglocken klingeln lassen. Bestenfalls befindet eine Beatrix von Storch gleichgeschlechtliche Eltern als „wahnsinnig blödsinnig.“ Der Rechtsruck im Land lässt Zustände wie in Ungarn oder Polen befürchten, wo ein Outing lebensgefährlich werden kann.
Wollen radikale Christen Homosexualität 'nur' heilen, ist diese mit dem Islam grundsätzlich unvereinbar: Verbrennen, steinigen, oder von Hausdächern stoßen, fasst Zeit-Redakteur Mohamed Amjahid zusammen. Während Übergriffe durch Islam-Anhänger auf der Tagesordnung sind, oder irre Attentäter Homosexuelle abschlachten, schwelgen wir auf einer Woge einseitig ausgelegter Toleranz.
Und die Homo-Ehe? In fast allen EU-Staaten der Nachbarschaft (Frankreich, Spanien, England, Belgien, Niederlande, Schweden Norwegen...) steht diese auf gleicher Stufe mit heterosexuellen Partnerschaften. Aber hier schafft es noch immer ein kleines Häuflein aus CDU/CSU Konservativen den letzten, entscheidenden Schritt zur Gleichberechtigung zu verhindern.
Nein, es sind längst nicht alle Menschen unsere Freunde! Gründe gibt es mehr als ausreichend, wieder auf die Straße zu gehen, um lautstark für Akzeptanz und Gleichberechtigung einzutreten. Party machen können wir dann wieder das ganze Jahr!
Ist der CSD zu unpolitisch? Hat die Party überhaupt noch das Label 'Demonstration' verdient? Wir freuen uns uns auf die Meinungen unserer Leser!
Alle CSD Termine haben wir für euch in unserem Eventkalender zusammengetragen.
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