Wenige Schritte vom Eingangsbereich des Hauptbahnhofes entfernt liegt die Tür zur Gaststätte 'Im Briefkasten', eine Gay-Kneipe, die letzte ihrer Art hier im Bahnhofsumfeld. Innen ein schmaler Raum, beherrscht von einer langgezogenen Theke. Der Besuch ist wie ein Ausflug in längst vergangene Zeiten, als sich das Leben schwuler Männer noch vorrangig in solchen Szeneläden hinter verschlossenen Türen versteckte. Dass diese Geschichte in der Ruhrgebietsmetropole Essen spielt, ist eher nebensächlich, sie könnte so oder ähnlich auch in jeder anderen Stadt wie den Homo-Hochburgen Berlin oder Köln stattfinden.
Es war um die Vielfalt der Szene früher besser bestellt. So gab es alleine in Bahnhofsnähe in den goldenen Jahren bis zu zehn Läden, in denen sich das schwule Besucherkarussell der Szene drehte. Sie hießen Nachtfalke, Stand By, Im Büro, Dampflok oder Go In. Und dann war da noch der legendäre Löschzug, in dem Wirtin Inge ihren Jungs schon in den Nachkriegsjahren ein Zuhause bot. Wer Einlass begehrte musste klingeln, dann öffnete sich eine kleine Klappe in der Tür, durch die Besucher erst einmal gecheckt wurden: „Ihr wisst, dass das hier eine Club-Gaststätte ist?“ Wer auf die Gnade des Türstehers stieß und eingelassen wurde, traf in den im Keller liegenden Räumen auf das Who is Who der Gays, vom Rundfunkmoderator über den Schauspieler bis zum Unternehmer. Für sie alle war der Löschzug über Jahrzehnte zu ihrem zweiten Wohnzimmer geworden, bis die geschätzte Wirtin irgendwann ihr Lebenswerk aus Altersgründen aufgab.
Als Jörg Denda am anderen Ende des Bahnhofs vor zwölf Jahren die Gaststätte 'Im Briefkasten' übernahm, wollte er in ihre Fußstapfen treten, obwohl sich die Zahl der Szenekneipen in der Stadt schon damals halbiert hatte. „Die Gesellschaft ist offener geworden und schwule Männer müssen sich nicht mehr verstecken“, beschreibt der Wirt. „Verabredungen finden heute über die sozialen Netzwerke wie Facebook statt, im Gay-Portal oder per Dating-App.“ Das wirkte sich auch auf die Szene aus. Gerade mal drei Szenekneipen existieren heute noch in der Stadt, sogar das große Café gleich neben der riesigen Gay-Sauna ist inzwischen ein Hetero-Laden.
Für die Stammgäste im Briefkasten gibt es Aktionen wie Karaoke, eine Busreise nach Amsterdam und in jedem Jahr ein schwul-lesbisches Straßenfest vor der Tür. Das Highlight eines jeden Jahres: „Zwischen 500 und 700 Besucher kommen zwischen 14 und 2 Uhr.“ Ein klarer Standortvorteil ist die direkte Nachbarschaft zum Hauptbahnhof. „So kommen auch viele Reisende. Tagsüber besteht unser Geschäft etwa zu 20 Prozent aus heterosexuellen Gästen. Die Gay-Szene trifft sich eher in den Abendstunden und vor allem an den Wochenenden.“ Hin und wieder mal verlaufen sich auch jüngere Männer, vor allem aus dem arabischen Raum oder Südosteuropa hierher, mischen sich unter die Gäste und versuchen ihr Taschengeld aufzubessern.
Hier, an der holzverkleideten Theke, ist es ansonsten eher ein wenig, als sei die Zeit stehen geblieben – irgendwo in den 70ern. Die älteren Herren werden mit selbst gebackenem Kuchen verwöhnt und geben ihre Rente bei Knobelrunden und Kartenspiel für Bier und Körnchen aus. „Die haben noch eine gute Rente“, weiß der Wirt, der seinen Laden gegen den Trend am Leben erhält. Doch auch für ihn stellt sich die Frage nach der Zukunft: „Ein heute 30-Jähriger geht entweder gar nicht mehr, oder nur noch sehr selten in eine Kneipe.“ Und heute noch einmal einen Szeneladen eröffnen? „Da würde ich sagen: Hut ab, derjenige müsste schon verdammt mutig sein.“
Wo trifft man dich? Welche Rolle spielen Gay-Bars in deinem Leben? Teile uns deine Gedanken in den Kommentaren mit.
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