Rechtsruck in Deutschland, die AfD in allen 16 deutschen Bundesländern, steigende Gewaltbereitschaft in der deutschen Bevölkerung, Hasstiraden im Internet, Brexit in Großbritannien, Donald Trump in den USA - die Liste reaktionärer Ereignisse ist lang. Rechtspopulisten sind weltweit auf dem Vormarsch. Was tun, fragen sich viele. Wie kommen wir raus aus der Resignation? Was dem Rechtspopulismus entgegensetzen? Berliner Transvestiten und Drag Queens scheinen auf diese Fragen nun eine Antwort gefunden zu haben. Sie besteht aus 3 Wörtern und lautet: Travestie für Deutschland.
Seit 2 Wochen sind die Plakate der TfD online. Sie sind frech, provozierend, greifen Äußerungen und Personen der rechtspopulistischen AfD direkt an. “Wir sind dabei keinesfalls politisch”, sagt Alexander, Pressesprecher der TfD, “aber wir wollen politisieren. Wir stellen uns gegen die Lügen der AfD und gegen politisches Desinteresse.” Auf den ersten Blick erinnern Poster der TfD an typische AfD-Wahlplakate. Weiße Schrift auf blauem Grund, der rote Pfeil, wurde allerdings durch einen roten Stöckelschuh mit der Aufschrift “Travestie für Deutschland” ersetzt. Auf den (bisher) acht Plakaten sind stadtbekannte Berliner Drag Queens zu sehen mit schmissigen Sprüchen und deutlichen Kampfansagen gegen Rechts: “Wenn einer von euch AfD wählt, schminke ich euch kaputt” (Jacky Oh-Weinhaus), “Bitch, please! Populisten sind so Berlin, 1945.” (Osh-Ree), “Frauke Petry find ich doof. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.” (Jurassica Parka). Gisela Sommer nimmt in ihrem Plakat Bezug auf das ach-so-lustige AfD-“Burka? Ich steh mehr auf Burgunder”-Plakat, indem sie den Rechten den Mittelfinger zeigt und meint: “Sauft euren Scheißburgunder doch alleine!”
“Wir wollen nicht Teil dieses Deutschlands sein, dass uns die AfD als Wichsvorlage vorlegt: sexistisch, chauvinistisch, fremdenfeindlich, misogyn, homo- und trans*phob”, erklärt Alexander und fügt gleichzeitig an, “wir richten uns aber in erster Linie an unsere eigene LGBTIQ*-Community. Denn auch bei uns gibt es AfD-Sympathisanten, die auf das krude Lügenkonstrukt dieser Partei hereinfallen.” Einerseits bediene sich die AfD an klassischen homophoben und Anti-LGBTIQ*-Positionen, andererseits biedere sie sich ihren homosexuellen Wähler*innen an. Ein Widerspruch? Keineswegs. Nicht ohne Grund ließ die rechtspopulistische Partei bei der Berliner Landtagswahl 2016 Wahlplakate im Berliner Schwulenkiez Schöneberg aufhängen unter dem Motto: “Wählt uns, damit ihr eure Sexualität frei ausleben könnt.” Anders als viele glauben, sind Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit auch in der schwullesbischen Welt weit verbreitet. Für eine rechtspopulistische Partei muss ein Heranrücken an die queere Szene daher grundsätzlich kein Nachteil sein - geht es doch längerfristig ohnehin darum, sich als eine moderne, zeitgemäße und sympathische Bewegung zu positionieren. Zumindest in den eigenen Reihen werden Schwule und Lesben geduldet. Alice Weidel, AfD-Vorzeige-Lesbe mit nationalkonservativen Werten, hat es gar bis zur Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl gebracht. Doch spätestens mit dem Durchwinken der Ehe für alle hätte sich die AfD endgültig selbst demaskiert, meint Alexander: “Das Entsetzen in den Gesichtern von führenden AfD-Politikern war deutlich abzulesen.”
“Wenn wirklich alles gut wäre, gäbe es keine krampfhafte Diskussion um die Geschlechtszugehörigkeit einer Person und Trans*-Menschen hätten nicht diesen furchtbar erniedrigenden und belastenden Hindernisparcour vor sich, um das Geschlecht leben zu dürfen, das sie leben wollen”, sagt Alexander. “Und außerdem könnte ich angstfrei Händchen haltend mit meinem Freund durch Berlin spazieren, ohne Beleidigungen und Gewaltandrohungen fürchten zu müssen.” Im letzten Jahr hätte er das mehrfach erlebt: Homosexuelle Menschen, die auf der Straße bespuckt und beleidigt würden. Aus religiösen Gründen, wie die AfD den Leuten glauben machen will, seien diese Attacken jedoch nie passiert. Und gerade das Beispiel der USA unter Donald Trump macht doch klar, dass sich Homo- und Transphobie nicht auf eine bestimmte (religiöse oder ethnische) Gruppe reduzieren lassen. Sie sind internationale Phänomene.
Für großes Aufsehen sorgte vor allem ein Poster der TfD. Es trägt den Titel “Die Freiheit führt (immer noch) das Volk” - in Anlehnung an das berühmte Revolutions-Gemälde von dem französischen Maler Eugene Delacroix aus dem Jahr 1830. Doch warum hat sich die TfD gerade für dieses Motiv entschieden? “Wir wollten das Konzept der Marianne in die Moderne übertragen - als moderne Europäerin. Im Fummel. Mit viel Schminke und Kunsttitten,” erklärt Alexander. Es gehe vor allem darum, den Sturm auf die Bastille als Sturm auf die Herzen der Menschen zu zeigen: “Wir zeigen damit, dass wir genauso Teil dieser Gesellschaft sind, doch wir sind lange nicht so homogen, wie die AfD es gerne hätte.” “Die Freiheit führt (immer noch) das Volk” solle daher vor allem eins symbolisieren: den Willen zum Widerstand.
Im Netz kommen die Plakate der TfD richtig gut an. Die Nachfrage ist riesig. “Wir befinden uns schon im Austausch mit anderen deutschen Städten” berichtet Alexander. In der nächsten Zeit werden die Plakate auch in zahlreichen weiteren Städten zu sehen sein, u.a. in Hamburg, Köln, Leipzig, München und Rostock. Zusätzlich wurde eine Kickstarterseite eingerichtet, auf welcher Sympathisanten und Freund*innen die TfD finanziell unterstützen können (und dann als Dankeschön natürlich die TfD-Poster erhalten). Und wie sieht es mit den langfristigen Zielen der TfD aus? Wird hinter den Kulissen vielleicht schon eine Zulassung der Partei zur Bundestagswahl 2021 diskutiert? “Dazu geben wir vorläufig keinen weiteren Kommentar”, meint Alexander, doch fügt dann vielsagend hinzu, ”Menschen mit so einem erlesenen Modegeschmack wie dem unseren ist schlichtweg alles zuzutrauen.”
Alle TfD-Poster und Bilder © Steven P. Carnarius
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