Neben bekannten schwulen Treffpunkten in öffentlichen Toiletten und den städtischen Parks, nutzten Homosexuelle im frühen 20. Jahrhundert vor allem die Inserate in einschlägigen gay-friendly Wochenzeitungen zum Kennenlernen. Besonders beliebt: Das Magazin „Die Freundschaft“ aus Berlin, das sich jedoch immer wieder mit der Berliner Staatsanwaltschaft auseinandersetzen musste. Der Vorwurf: Die „Verbreitung von unzüchtigen Schriften“. Im Jahr 1923 sah sich die „Freundschaft“ daher gezwungen, auf die Veröffentlichung von Kontaktanzeigen zu verzichten.
Reisebegleitungen waren unter schwulen Männern in den 1920er Jahren ausgesprochen beliebt. Kein Wunder: Unter dem Vorwand eines gemeinsamen Urlaubes ließen sich so allerhand Dinge ausprobieren, herausfinden und entdecken.
Intellektueller Herr
23 Jahre, sucht Stelle als Reisebegleiter oder Diener. Offerte unter „Gerd 162“ an den Verlag.*
Welcher junger Herr
hätte Neigung, einen Herrn im Alter von 40 Jahren auf einer Ferienreise im August in Süddeutschland begleiten zu wollen. Es kommt nur ein junger Mensch von durchaus aufrichtigem und zuverlässigen Charakter in Betracht, dessen Stand Nebensache ist, dem aber ein gewisses Maß an Bildung eigen sein soll. Es werden nur Zuschriften mit ausführlicher Angabe der persönlichen Verhältnisse berücksichtigt, denen ein Bild unbedingt beigelegt sein muss. Dass letzteres zurückgeschickt wird, ist selbstverständlich. Ein Teil der Kosten für die Reise, ggf. auch die ganzen Reisenkosten, können getragen werden, jedoch kommt derjenige, dem es lediglich um materielle Vorteile geht, nicht in Betracht. Off. unter „E.S. 178“ an den Verlag.
Junger, vornehmer Ausländer
der sich in Berlin ein paar Monate aufhält, sucht einen jungen (20-25 Jahre) kräftigen Burschen als Diener. Off. mit Bildzusendung, das ehrenwörtlich zurückgeschickt wird, erbeten unter „A.J 26“ a. d. Verlag.
Die 1920er Jahre waren geprägt von großer Arbeitslosigkeit und den wirtschaftlichen Spätfolgen des ersten Weltkrieges. Es wundert daher kaum, dass viele Männer in Kontaktanzeigen neben einem Partner vor allem nach einer Beschäftigung Ausschau hielten. Warum sollte sich das Erotische nicht mit dem Nützlichen verbinden lassen?
Lediger Herr
40er, vornehme Herzensbildung, vielseitig, möchte einem besseren Landwirt, Gutsbesitzer oder Kaufmann eine tüchtige Hilfskraft sein. Suchender hat viele Jahre eine größere Landwirtschaft geleitet und ist zur Zeit kaufmännisch tätig. Off. unt. „D.B 28“ an den Verlag.
Young American
or Englishman (20-30) may dwell with well-educated German gentleman (40) in the best quarter of Berlin. Offers under „Exchange of conversation“ to the expedition of this paper.
Schwule Männer wollen immer nur Sex? Keinesfalls! Schon vor 100 Jahren träumten viele Männer von mehr als bloß der nächstbesten schnellen Nummer. Nicht umsonst ist in vielen Kontaktanzeigen von "Dauerfreundschaften" die Rede und es wird viel Wert darauf gelegt, eine gute Herkunft und einen adäquaten Bildungsstand zu haben.
Aufregende Dauerkameradschaft
wünscht 22jähriger Bankangestellter aus gutem Hause, elegante Erscheinung, kunst- und naturlieb mit Herrn nur aus gutem Hause. Nur ernstgemeinte Offerten (mögl. mit Bild) unt. „D.O. 78“ an den Verlag.
Student
25Jahre, finanziell vollkommen unabhängig, sucht einen Kameraden aus nur guter Familie. Akademiker oder früh. Offizier oder Kadett bis zum Alter von 25 Jahren bervorzugt. Geldinteressen ausgeschlossen. Offerten unter „F.M. 142“ an den Verlag.
In meine Stille
der österreichischen Kleinstadt dringt kein Ruf des Freundes, der seine äußeren und inneren Vorzüge, seine verfeinerte Kultur, die Freude am wahrhaft Schönen, jeglicher Kunstform und freier, ästhetischer Lebensführung, mit mir teilen will. Vielleicht bringt dieser Versuch, vorerst brieflich, eine feine Seele kennenzulernen, Erfolg. Persönl. Bekanntschaft evtl. während gemeins. Urlaubes. Nur wirklich großzügig ernste, materiell unabhängige Menschen, zwischen 25 und 35 Jahren wollen mit Bildbeigabe schreiben unter „Steiermark 34“ an den Verlag.
Wer die schwulen Kontaktanzeigen der 1920er Jahre mit den Inseraten der heutigen, digitalen Zeit vergleicht, stellt schnell fest, dass viele Männer ihre Worte damals sehr viel vorsichtiger wählten. Doch wen wundert's? Während Mann im frühen 20. Jahrhundert noch eine Verhaftung wegen "unzüchtigen Verhaltens" fürchten musste, ist schwule Sexualität heute weitestgehend enttabuisiert und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Sprache und die medialen Formen mögen sich im Zeitalter des Internets gewandelt haben - schwule Kontaktanzeigen aber gibt es immer noch.
*alle Kontaktanzeigen sind Originalzitate aus der Wochenzeitschrift "Die Freundschaft" (1919-1933 / Archiv des Schwulen Museums in Berlin)
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