Für den Welt-Aids-Tag wirft Gay.de Autor Alex Hopkins einen Blick auf die Herausforderungen, die eine serodiskordante - das heißt ein Partner ist HIV-positiv und einer HIV-negativ - Beziehung mit sich bringen.
„Das ist eine schreckliche Frage, natürlich würde ich.“
„Was für eine lächerliche Frage, ja, ich würde und ich habe.“
„Ich würde sehr überrascht sein wenn du jemanden findest, der sich traut öffentlich zu sagen dass er nicht würde. Nur ein Arschloch würde daraus ein Problem machen.“
Das sind einige der Antworten, die ich erhalten habe, als ich schwule Männer fragte, ob sie mit einem HIV-positiv Mann ausgehen würden. Dieses Thema ist voll mit Kontroversen. So sehr, dass einige von den Leute mit denen ich sprach, es regelrecht empörend fanden, dass ich die Frage überhaupt gestellt habe. Gewisse Dinge sollte man als gegeben hinnehmen und kein Fass aufmachen. Manche Dinge sind halt wie sie sind. Unbestritten. Unausgesprochen.
Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass genau das nicht einfach ist. Und über das Thema HIV zu schweigen, ist gewiss keine Option.
Vorurteile
Beginnen möchte ich mit meinen eigenen Erfahrungen von vor 15 Jahren. Und wenn ich mir die Gegenfragen meiner Recherchen ansehe, dann war ich wohl das „Arschloch“.
Ich hatte einen Typ in einer Bar kennengelernt und wir genossen einen kurzen Spaziergang am Strand, hielten inne und hielten Händchen, als das Licht der Morgendämmerung über dem Pier die Dunkelheit aufbrach. Er sagte mir, dass er sei HIV-positiv sei. „Ich weiß, dass dies die Dinge verändern kann“, sagte er. „Natürlich nicht, es ist OK.“ Aber ich habe gelogen. Mein Kopf war sofort am wirbeln mit Ideen, Fakten, Ängsten – und ja, ich bin nicht stolz es zuzugeben: Vorurteile haben überwogen.
Wir haben uns noch öfter getroffen und hatten auch mehrmals Sex. Safer Sex versteht sich, den ich weiß, was ich tu ;-) Über seinen HIV-Status haben wir nie wieder gesprochen.
Die Beziehung - wenn man unser Verhältnis so nenn kann - ist dann irgendwann im Sande verlaufen, als er mir sagte, dass er Probleme hätte, die er handeln musste. Ich habe ihn nicht gedrückt und nur oberflächlich verabschiedet - es war wohl doch keine richtige Beziehung. Und um ehrlich zu sein: Ich wusste nie, wie ich zu seinen Status stehen sollte und in einer gewisser Weise hat er es mir so leichter gemacht, als er die Affäre beendete. Solange wir nicht über HIV sprachen schien alles ok. Aber das war es nicht. Es war alles - außer in Ordnung, denn ich konnte nicht loslassen, von dem, was mir als Kind eingetrichtert wurde. Ich bin in den 80er Jahren aufgewachsen, einer Zeit, in der schlecht informierte Menschen Aufklärung betrieben und TV-Spots durchaus brutal und abschreckend negativ dargestellt waren.
Zudem trug mein homophoner Vater zu meiner Haltung bei. „HIV macht mich krank, HIV tötet und HIV ist eine Seuche!“ - Worte, die sich regelrecht eingebrannt haben.
Und wie ich mich selbst verachtete, dies zu denken dies.
Die Wissenschaft
Ich werde nie wissen, was zwischen mir und diesem Kerl passiert wäre, wenn wir das wichtigste in einer Beziehung - vor allem in einer serodiskordanten - genutzt hätten: Miteinander sprechen. Heute bin ich einen Schritt weiter, ich habe wissenschaftliche Fakten, Informationen, die jeder haben sollte. Nicht nur Personen, die überlegen mit einer HIV-positiven auszugehen.
So hat die Australian Opposites Attract Study zu schwulen serodiskordanten Paaren „bisher keine Übertragung vom HIV-positiven Partner auf den Negativen innerhalb eines Zwei-Jahres-Analyse“ ergeben. Die befragten Paare hatten Sex ohne Kondom, und die meisten der HIV-positiven Partner (84%) nutzten die antiretrovirale Therapie.
Bei allen wurde keine virale Belastung festgestellt. Die Studie zeigt, dass eine nicht feststellbare Viruslast wahrscheinlich eine bessere Vorbeugung gegen eine HIV-Infektion ist, als die Verwendung eines Kondoms.
Unterstützt werden diese Ergebnisse durch eine große Studie von PARTNER, die keine Übertragungen durch Analsex zwischen den 16.400 Probanden (inklusive kondomgeschützter Sexkontakte) feststellen konnten.
Beide Studien haben das Potenzial, unsere vorgefassten Meinungen über „Safer Sex“ zu revolutionieren.
Matthäus Hodson, Vorstandsvorsitzender der Londoner Gay Man Health Charity (GMFA) sagt: „Es ist eher wahrscheinlich, dass Sie beim Sex mit Kondom mit jemandem der nicht in Behandlung ist, infiziert werden, als dass das HI-Virus von einer infizierten Person, die sich in Behandlung befindet, auf Sie übertragen wird.“
Freie Wahl
Die Ergebnisse von aktuellen wissenschaftlichen Studien allein, haben nicht die Macht Einstellungen zu verändern – oft sind es tief verwurzelte Ansichten, die über viele Jahre gebildet wurden. Meinungen, die das Alter der schwulen Männer oft nicht berücksichtigen und verschiedene Lebenserfahrungen vernachlässigen. Das häufigste Argument - mit einem HIV-positiven Mann auszugehen - dagegen ist, die Ausübung der freien Wahl.
Ein älterer schwuler Mann, der mit mir sprach, äußerte dies sehr ausdrücklich: „Es gibt eine Reihe von Dingen, die mein Verlangen für andere Männer begrenzen. Dass sie HIV-positiv sind, ist einer von ihnen. Ich bin Antialkoholiker und ich finde, dass vor allem junge Männer es total verabscheuen, wenn du nicht trinkst oder Drogen nimmst. Es ist eine ähnliche Sache. Es geht um persönliche Wahl oder besser noch Vorlieben.“ Er fügte hinzu, dass eine antiretrovirale Therapie nicht unbedingt für jeden verfügbar ist: „Hier in Amerika, wenn du die Medikamente, die deine Viruslast unter der Nachweisgrenze halten, leisten kannst, ist dein Sexualleben stark eingeschränkt.“
Als ich in Frage stellte ob andere schwule Männer seine Haltung als Vorurteil sehen würden, verwies er auf die wachsende Zahl von jungen schwulen Männern, die mit HIV durch Bareback-Sex infiziert werden: „Das einzige hässliche Vorurteil, welches ich in letzter Zeit habe, sind Männer auf PrEP, die kein Sex haben wollen, wenn es nicht „bare“ ist.“
Ein ähnlicher Punkt wurde auch von einem anderen Mann erhoben, der meinte: „Ich habe einige Freunde, die HIV-positiv sind. Sie behandeln ihre Infektion wie einen exklusiven Club und haben untereinander auch regelmäßig Bareback-Sex, da sie ja alle HIV-positiv sind. Ich finde das mehr als leichtsinnig.“
Tragen diese Männer zu anhalten Diskriminierung schwuler Männer bei oder mach ich mir einfach nur zu viele Sorgen um das Wohlergehen unserer männlichen Gemeinschaft? Vielleicht ist dieser Gedanke Ausdruck meiner eigenen Beklemmung, vielleicht eine weitreichende Entscheidung. Ich kann es derzeit nicht deuten.
Man kann die Situation nicht Schönreden, man kann sie nicht verharmlosen.
„Wir müssen darauf achten, nicht zu behaupten, dass HIV überhaupt kein Problem ist. Es können gesundheitliche Komplikationen auftreten, aber man kann sich auch mit dem Virus den Rest seines Lebens engagieren.“
Debatten und Herausforderungen
Seit dem Ausbruch der Aids-Epidemie in den 1980er und 1990er Jahren, wurden riesige positive Fortschritte in der Behandlung von HIV gemacht. Die Mehrheit der Männer, die sich für diesen Beitrag bereit erklärten, waren und sind auch bereit, eine Beziehung mit HIV-positiven Männern einzugehen.
„Wir sollten die Person sehen, nicht das Virus“
„Ich neige dazu zu denken, dass jeder schwuler Mann das Potenzial hat, HIV-positiv zu sein. Es macht keinen Unterschied für mich“
„Wenn jemand die Liebe deines Lebens ist/sein könnte, würde irgendeine Krankheit ein Problem sein?“
Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, Vorurteile zu bekämpfen. Daher ist besonders der Welt-Aids-Tag ein wichtiges Datum in unserem Kalender.
Der Anstieg der HIV-Raten, vor allem unter jungen schwulen Männern ist total erschreckend. Ebenso wie auch der Einfluss des neuen Phänomens des „Chem-Sex“.
Wir brauchen offene Gespräche, um wirksame Strategien zu bilden, um solche Probleme zu lösen bevor sie zusammenbrechen. Aber wir müssen auch ehrlich über die Art und Weise sprechen, in den wir heute leben – und feiern – vor allem neue, sicherere Arten von serodiskordante Beziehungen.
Wir sind alle dabei unseren Weg zu finden, unsere Meinungen zu ändern, aber die Debatte muss weitergehen.
Der Schlüssel für eine erfolgreichen Beziehung ist: Jeden als einzelnen Individuum zu sehen und zu behandeln. Auf Vorurteile sollten wir generell verzichten und Angst kann mit Hilfe von Informationen immer abgebaut werden.
So lasst und l(i)eben…
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