von Sven
Die Geschlechterrollen in einer heterosexuellen Beziehung sind klar verteilt und lange war das Bild eines dominanten Mannes und einer devoten Frau unaufweichlich festgelegt. Homosexuelle galten stets als die sexuellen Rebellen und Freidenker. So sollte in diesem Sinne queerer Sex völlig losgelöst von öden Geschlechterrollen und deren Charakteristika sein. Aber Schwule sind in der Rolle, die sie einnehmen, noch lange nicht von den Normen der Hetero-Welt befreit. Dem Mann wurde von Natur aus durch die Prostata ein Lustzentrum im Hintern geschenkt, der den Anal-Verkehr für so viele schwule Partnerschaften zur alltäglichen Sexpraktik macht. Entscheidet man sich für diese Praktik kommt es zu dem Dilemma, dass einer der Partner Top oder Bottom sein muss. Diese Begriffe haben sich in der Szene etabliert für denjenigen, der den aktiven Part (Top) übernimmt und denjenigen, der passiv seinen Arsch hinhalten mag (Bottom). Oft definieren sich Queers über diese Rollen, die viel mehr darstellen als nur die bloße sexuelle Position beim Liebesakt. Mit dem Label „aktiv“ oder „passiv“ sind auch viele Stereotype verbunden, wie die Person sich verhält oder wie deren Charakter ist. Dem Bottom wird eine feminine Rolle zugeteilt. Er wird penetriert und ihm werden eher weiche und passive Eigenschaften zugeschrieben. Der Top hingegen ist schon als Kind auf Kerl geeicht und wird rundum mit maskulinen Attributen verbunden.
Fern davon, dass es Männer gibt, die im Bett gerne beide Positionen einnehmen (Versatile), stellt sich die Frage, ob es Partnerschaften geben kann, wo die sexuelle Rolle nicht zueinander passt? Können zwei Bottom-Boys miteinander glücklich werden? Oder wie sieht der Sex von zwei Tops aus, die miteinander eine Beziehung führen? Sind Homosexuelle wirklich in Ihrer Partnerwahl eingeschränkt und müssen sie sich auf die Suche nach dem kompatiblen Gegenstück zu ihrer sexuellen Rolle machen?
Ist es nicht an der Zeit, das Top-Bottom-Schema hinter sich zu lassen?
Wenn man durch die Dating-Apps sucht wird einem schnell klar, dass schwules Kennenlernen stark über die sexuellen Vorlieben gesteuert wird. Schon bei der Nick-Name-Wahl werden Begriffe ausgesucht, die bereits klar vermuten lassen, was die Männer im Bett bevorzugen: Top4Bottom, Hengstsucht, PassivesLoches oder DevoterBottom sind nur eine Auswahl an Namens-Kreationen, die sich im Online-Dating finden lassen. Die vermeintliche Freiheit beim schwulen Sex gleicht bei der Partnersuche doch eher einer Ideologie, der sich Homosexuelle unbewusst unterwerfen. Doch in der Realität gibt es mehr als nur die Gleichung „Top + Bottom = Sex / Liebe“. Dasselbe Ergebnis erhält man auch, wenn wir zwei Bottoms oder zwei Tops addieren. Die moderne schwule Welt hat mehr Vielfallt und bunte Verbindungen als es die reinen sexuellen Positionen vermuten lassen. Somit ist auch noch lange nicht jeder maskuline Mann sofort aktiv oder jede Tucke ein Liebhaber vom passiven Analverkehr. Gerade die Homosexuellen sollten doch wissen, dass sie nicht zu stark ins Schubladen-Denken geraten sollten, da die Wirklichkeit häufig ganz anders aussieht.
Solche „Only Bottom“- oder „Only Top“-Paare berichten häufig, dass sie auch ohne Analverkehr glücklich sind und ihre sexuelle Stimulation auf anderem Wege suchen. Dank allermöglicher Sex-Spielzeuge können Männer auch die fehlende Komponente ersetzen. Tops benutzen Flashlights oder Bottoms sind gefragte Abnehmer von Dildos. Das gemeinsame Sex-Spiel mit Toys ist eine willkommene Abwechslung. Die Leidenschaft zwischen zwei Männern kann auf so viele Arten ausgelassen werden und schwul zu sein, ist auch nicht zwangsweise damit gleichzusetzen, dass jeder auf anale Penetration abfährt. Ganz nach dem Motto „Mein Arsch ist nur ein Ausgang“ kommt die intime Zweisamkeit auch ohne Popo-Sex aus. Zwar sind wir alle Männer, aber kennt sich auch wirklich jeder mit den erogenen Zonen des starken Geschlechts aus? Wusstet ihr, dass am Kreuzbein am unteren Rücken Nerven liegen, die mit den Genitalien verbunden sind und die sexuelle Erregung beeinflussen können? Eine intensive und leidenschaftliche Massage an diese Stelle kann Männer auf Hochtouren bringen.
Die sexuellen Rollen „aktiv“ und „passiv“ sind zwar eine Vorliebe, aber sie sind nicht in Stein gemeißelt und lassen sich durch Zuneigung und Gefühle häufig aufweichen. Vielleicht sind es schlechte oder schmerzhafte Erfahrungen, die den einen oder anderen Mann dazu gebracht haben sich gegen eine sexuelle Rolle zu entscheiden. Aber für viele Männer gehört zum Geschlechtsverkehr Vertrauen und Vertrautheit dazu. Wieso sollte man also mit einem neuen Partner nicht auch mal die Positionen wechseln und Neues ausprobieren? So bleibt ein Top in einer Beziehung nicht immer standhaft, dass sein Hintern eine Sperrzone ist und genauso gilt es für Bottoms, die auch die Lust an der aktiven Rolle entdecken können.
Wenn alles passt und es nur im Bett nicht rund läuft, dann kann eine offene Beziehung eine echte Alternative sein.
Aber wenn die sexuellen Rollen nicht zueinander passen, dann ergeben sich häufig offene Partnerschaften, wo aus Zweisamkeit für den Sex Dreisamkeit wird. Wenn die Penetration durch den Partner nicht funktioniert, dann sucht man sich jemanden, der diesen Part übernehmen kann. Ein Beziehungsmodel, das für manche Paare funktioniert. Die partnerschaftliche Bindung und Liebe bleibt davon weitgehend unangetastet und der dritte Bettgefährte dient wirklich in den meisten Fällen nur zur sexuellen Befriedigung, wenn Hand- und Blow-Jobs nicht ausreichen. Doch nicht für Jeden ist die Öffnung der Monogamie eine Lösung damit eine Beziehung unter zwei Tops oder zwei Bottoms funktioniert.
Jemand hat mal gesagt, dass ein schwuler Mann eine Art Legostein ist, denn er passt von oben und unten auf einen anderen und Legosteine sind in allen Lagen kompatibel. Die ganze Dating- und Sex-Suche letztlich nichts anderes, als ein Spiel und wir bestimmen, wie wir die Steine zusammensetzen. In diesem Sinne gilt es, die vermeintlichen Grenzen der sexuellen Rollen niederzureißen und sich einem Menschen zu öffnen, der aufgrund seiner Vorlieben zunächst nicht als fester Partner in Frage kommt. Ein Legostein passt eben nicht nur von einer Seite auf den anderen. Sucht man nur nach dem kompatiblem Gegenstück anhand der Positionen im Bett, entgeht einem vielleicht der Traumprinz, der in allen anderen Lebenslagen vereinbar wäre.
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