Neue Leute kennenzulernen ist etwas Schönes – zumindest für mich. Ich habe das große Glück, durch meinen Beruf und mein Studium fast jeden Tag auf unbekannte Menschen zu treffen, und ich finde jede neue Begegnung auch wirklich spannend. Doch es gibt diesen einen Punkt, der mich bei jedem ersten Gespräch wieder aufs Neue anstrengt: Das Gay Coming Out.
Ja, ich hatte mein Gay Coming Out schon als 15-jähriger Teenager mit fettigen Haaren und pickeligem Gesicht bei meiner Familie und meinen Freund*innen. Damit ist die Sache erstmal durch, sollte man meinen – falsch gedacht. In (fast) jedem Gespräch mit neuen Menschen muss ich mich früher oder später wieder zu meiner Sexualität bekennen. Klar, zuerst kommen die oberflächlichen Fragen: “Was machst du denn? Wo kommst du her? Was hälst du von der neoliberal-kapitalistischen Gesellschaft?” Aber spätestens, wenn die Unterhaltung sich in Richtung Liebesleben bewegt, kommt die Konversation zumindest kurz in Stocken – dann fange ich nämlich an, von meinem Freund zu erzählen.
Plötzlich ist alle vorübergehende Leichtigkeit des Smalltalks weg, entweder, weil mein Gegenüber betont lässig versucht, mit meiner Homosexualität umzugehen, oder, weil ich dann doch plötzlich viel interessanter werde. Es folgen die Standardfragen – ich kenne sie alle auswendig – wie: “Ich hoffe, das ist dir nicht zu persönlich, aber wann wusstest du denn, dass du schwul bist?” oder “Sag mal, wann hast du dich denn eigentlich geoutet? Und wie sind deine Freunde und deine Familien damit umgegangen? Wie war dein Gay Coming Out?”
Its no piece of cake! Das Outen ist kein Kinderspiel. Aber es zahlt sich mit der sexuellen Freiheit und der sozialen Akzeptanz aus!
Mir ist schon bewusst: Nicht jede*r kennt queere Menschen im direkten Umfeld, und viele meiner Gegenüber sind auch wirklich einfach nur – ohne überhaupt zu urteilen – neugierig. Was mich stört: Erstens werde ich sofort in eine Schublade gesteckt, zweitens dreht sich von hier an das Gespräch mindestens die nächsten 10 Minuten nur um mich und meine Sexualität. Immer wieder bleiben die gleichen Wortfetzen über meine Beziehung zu einem Mann in meinem Gedächtnis hängen “Das ist ja so süß”” oder “Haltet ihr auf der Straße dann auch Händchen?”. So weit, so nervig. Dabei habe ich es noch vergleichsweise einfach. Ich muss nicht in jedem Gespräch direkt einbringen: “Ich bin schwul.”
Vielmehr kann ich das Outing ganz galant über die Bühne bringen, indem ich meinen Freund irgendwann ins Gespräch bringe. Bevor ich allerdings in festen Händen war, durfte ich den Drahtseilakt des Smalltalk-Outings in jedem zweiten Gespräch durchführen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Das Gay Coming Out wird aber immer einfacher, selbst wenn es unheimlich nervig wird.
Es ist eine Bredouille, in der ich stecke: Auf der einen Seite möchte ich meine Sexualität oder meine Beziehung zu einem Mann natürlich nicht verstecken. Auf der anderen Seite will ich aber auch nicht nur darüber definiert werden und in jedem Gespräch mit neuen Menschen meine sexuellen Präferenzen diskutieren. In einer perfekten Gesellschaft, da würde natürlich niemand mehr Nachfragen stellen, sondern es wäre absolut kein Thema.
Aber noch sind wir im Jahr 2019. Noch outen sich Promis wie Charlie Carver, Colton Haynes, Kristen Stewart oder Ellen Page öffentlichkeitswirksam. Das ist ein großer Schritt für die Schauspieler*innen, denn von hier an finden sie sich in sämtlichen queeren Onlineforen und auch ihr Wikipedia-Artikel bekommt direkt eine Randnotiz zu ihrer Sexualität.
Dabei sind Stars wie Page, Hynes oder Stewart genau diejenigen Menschen, die jungen Leuten wie mir den Weg ebnen, hin zu einer Gesellschaft, der meine Seuxalität egal ist. Und es sind Kinofilme wie Moonlight oder Call Me by Your Name, die queere Liebesgeschichten so erzählen, dass auch Menschen aus älteren Generationen einen unvoreingenommenen Zugang zu diversen sexuellen Ausrichtungen bekommen.
Und eigentlich kann ich mich noch wirklich glücklich schätzen: Denn anstatt mit Homophobie oder Anfeindungen konfrontiert zu werden, stoße ich nach meinen Smalltalk-Outings auf echtes Interesse: An mir als Person und meiner Geschichte. Vielleicht bin auch ich gerade Teil der Generation, die nicht um existenzielle Rechte kämpfen muss, sondern den Weg in der Gesellschaft hin zu einer Selbstverständlichkeit von Queerness ebnen kann.
Ja, dieses ständige Outing ist nervig. Aber, es fällt auch mit jedem Mal leichter: Ich bin nicht mehr der 15-jährige Junge ohne Selbstvertrauen, der sich vor seine versammelte Familie stellen muss. Ich kann mich zu mir bekennen, und damit die Gesellschaft vielleicht sogar noch ein kleines bisschen voranbringen.
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