„Ich will nicht schwul sein, gibt es irgendeine Methode, das zu heilen?“, sucht Marvin offensichtlich verzweifelt in einem Internetforum nach Rat. Der zutiefst verunsicherte Teenager bildet geradezu ein ideales Opfer für religiöse Fundamentalisten oder gewissenlose Therapeuten, die versprechen, mit dubiosen Methoden aus schwulen Jungs, die eigentlich ihr Coming Out genießen dürften, wieder richtige Hetero-Kerle zu machen. Malta hat nun als erstes Land in Europa 'Therapien' gegen Homosexualität verboten und droht deren Anbietern mit hohen Geldbußen oder sogar Haftstrafen. In Deutschland dagegen sind derartige Machenschaften nicht nur heute noch an der Tagesordnung, sondern werden auch noch von den Krankenkassen finanziert.
Elektroschocks, Homöopathie, Behandlungen mit Psychopharmaka und jede Menge Sühne und Gebete. Mit diesen und ähnlichen Methoden versuchen sie ihre Patienten und Anhänger von deren Homosexualität zu 'heilen'. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten? Berichte aus irgendwelchen unterentwickelten Staaten? Mitnichten: Wir befinden uns im Jahr 2016 in Deutschland, einer Nation, in der die Versuche der Umpolung schwuler Männer Tradition haben. Mit Umerziehungsmaßnahmen, Kastrationen oder Behandlungen mit diversen Substanzen wollten schon der kleine Führer und dessen Gefolgsleute in den Konzentrationslagern des Deutschen Reiches, die mit dem Rosa Winkel gebrandmarkten Homos von deren Neigung befreien.
In heutiger Zeit schließt sich beispielsweise der Münchner Homöopath Dr. Gero Winkelmann der Einstellung an, schwule Männer von deren 'Leiden' erlösen zu müssen. Mit seinem 'Hilfe- und Behandlungskonzept' verspricht dieser angebliche Rettung. Derartige Konversionstherapien und 'reparative Verfahren' treffen scheinbar auch noch auf Unterstützung durch die Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, indem diese auf deren Homepage angepriesen werden dürfen. „Vermutlich gibt es in Deutschland mehrere 10.000 Männer und Frauen, die an Konflikten ihrer sexuellen Orientierung und an ichdystonen (fremden, störenden) Sexualpräferenzen leiden. Diese wollen häufig nicht schwul oder lesbisch sein,“ darf dort der Diplom-Psychologe Michael Gerlach für die umstrittenen Behandlungen werben. Eine Diagnose, die den Ärzten sogar dazu verhilft, dass die Krankenkassen die Kosten für eine entsprechende Behandlung finanzieren.
Dabei hatten sich bereits 2014 die Delegierten beim Deutschen Ärztetag deutlich gegen jede Stigmatisierung von sexueller Orientierung ausgesprochen und die Streichung von Diagnosen wie Homosexualität oder ein Verbot von entsprechenden Behandlungen oder Therapien gefordert. Dazu gehören solche Verfahren, die behaupten, Homosexualität in asexuelles oder heterosexuelles Verhalten umwandeln zu können. Diese vermitteln den Eindruck, dass Homosexualität eine Erkrankung sei. Sie seien nicht nur unwirksam, sondern könnten sich sogar negativ auf die Gesundheit auswirken.
Kasse machen ist bei dem Thema auch unter Autoren angesagt: 'Ist Veränderung möglich? Erfahrungen eines ehemaligen Homosexuellen', taufte der unter Pseudonym auftretende Sebastian Weber sein Buch. In dem empfiehlt der Verfasser seinen Lesern, „die Bibel ernst zu nehmen und mit Gottes Hilfe Veränderung zu erleben.“ Gerard van den Aardweg leitet gar in seinem gleichnamigen Werk zur 'Selbsttherapie von Homosexualität' an. 'Schritte zur Freiheit aus zwanghaften Gefühlen' bot auch der Hamburger Psycho-Pfarrer (so 'Der Spiegel') Bernhard Ritter als Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins 'Gesellschaft für Lebensorientierung' in einem Seminar die Bekehrung Homosexueller.
'Menschen, die homosexuell leben – Weichling und Knabenschänder sind Ausdrücke für die beiden schwulen Partner innerhalb einer solchen Beziehung – werden nicht in das Reich Gottes eingehen. Das heißt nichts anderes, als dass sie ewig verloren gehen!', warnen vorgebliche 'Seelsorger' auf bibelseelsorge.de. Ob christliche Fundamentalisten, Juden, oder Islam-Anhänger, allen gemeinsam ist ihre Abscheu vor schwulen Beziehungen. „Unter islamischem Gesetz werden der gleichgeschlechtliche Sodomierte und der Sodomierer zum Tode verurteilt“, beschreiben die Aktivisten der Homepage islamreligion.com ohne Umschweife ihre Einstellung. Da trifft es die streng gläubigen Katholiken dagegen noch sehr human: Der Bund Katholischer Ärzte empfiehlt schwulen Männern ernsthaft die Einnahme von Globuli, einem homöopathischen Zuckerpräparat. Wäre das Thema nicht so bitterernst, dann wäre dieser gute Rat der 'Homo-Experten' irgendwie doch wieder total süß...
Weiterführende Links zum Thema:
Panorama-Sendung: Die Schwulenheiler
Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG): Warum ich als Christ nicht homosexuell leben kann
Die Zeit: Homosexualität im Islam
Islam-Fundamentalisten: Fatwa zu Homosexualität
Glaubensfragen und Lebenshilfe: Homosexualität ist heilbar
Stellungnahme Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD): Heilungsversuche
(Beitrag von Peter Dettmer im Auftrag für Gay.de)
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