Von Peter Dettmer
„Auch wenn sich das politische Engagement der letzten Jahrzehnte in Deutschland bisher gelohnt hat und queeres Leben zunehmend akzeptierter geworden ist, so gehören Gewalt, Anfeindungen und Homophobie 2021 nach wie vor zur Erfahrung vieler Schwulen und Lesben“. Und „Schwule Sau!“ sei noch immer das „Schimpfwort Nummer 1.“ Eine gefährliche Diskriminierung: Laut einer Studie der AIDS Hilfe Deutschland von 2016 schadet diese der Gesundheit schwuler und bisexueller Männer und erhöht deren Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Ulf Hentschke-Kristal vom Vorstand der AIDS-Hilfe: „Die Untersuchung zeigt erstmals in Deutschland deutlich den Zusammenhang zwischen Diskriminierung, psychischen Erkrankungen und HIV-Risiken. Wenn wir über Homophobie sprechen, geht es um Chancengleichheit bei der Gesundheit. Politik und Gesellschaft stehen in der Pflicht, alles für Akzeptanz und Respekt gegenüber sexuellen Minderheiten zu tun, was in ihrer Macht steht.“
Aktuellen Zahlen zufolge ist die Gewaltkriminalität und Übergriffe gegen Homosexuelle im Vorjahr regelrecht explodiert. „Alleine in der Bundeshauptstadt hat es im vergangenen Jahr 259 Fälle mit trans- oder homophoben Hintergrund“, beschreiben die Aktivisten vom Berliner schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo die Situation. Eine Entwicklung, die auch der Bundestagsabgeordnete Volker Beck auf seine entsprechende Anfrage bestätigt sieht: „Die genannten Zahlen decken nicht einmal ansatzweise den Umfang homophober Straf- und Gewalttaten in diesem Land ab", so der Grünen-Politiker in einem Interview der Süddeutschen Zeitung.
Homophobie zeigt sich vielfältig: Ignorieren, verächtliche Blicke und Worte – bis hin zu blindem Hass und Gewalt 🌈
Mit vielfältigen Ideen und Aktionen stemmen sich die Vertreter der Community gegen den Trend der neuen Homophobie. Alexander Freier wurde im Alter von 15 zusammengeschlagen, weil er schwul ist. „Die Menschen kennen oft keine Schwulen und haben verschrobene Bilder im Kopf. Ein einziger echter Schwuler bringt manchmal jahrelang gepflegte Vorurteile zum Einsturz“, erläutert der heute 24-Jährige seine Motivation, die Kampagne Mir reicht's! - Meine Würde ist unantastbar! der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) zu unterstützen.
Mit ihrem Kuss zeigen die Teilnehmer in jedem Jahr am 17. Mai Präsenz und setzen ein Zeichen: "Protect every kiss!"
Unter dem Motto protect every kiss! veranstalten die Aktivisten von Maneo seit 2007 jährlich am 17. Mai in Berlin den Kussmarathon. Dabei suchen die Teilnehmer gezielt Orte auf, die „kein leichtes Pflaster“ für offene Homosexualität bilden. Mit einem Kuss zeigen die Teilnehmer Präsenz und setzen ein gemeinsames Zeichen. Auch wenn sich das politische Engagement der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland gelohnt hat und queeres Leben zunehmend akzeptierter geworden ist, so gehören Gewalt und Anfeindungen doch nach wie vor zur Erfahrung vieler Schwulen und Lesben. Ihre stärkere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit empfinden viele Menschen als Provokation, wissen die Organisatoren der Protestaktion.
Im Rahmen des Evangelischen Kirchentags 2017 wurde die Homophobie vielfach thematisiert. In einem Video beschreiben die jungen Christen: „Das gesunde Volksempfinden glaubt, dass wir noch immer bestraft werden müssen, weil wir uns lieben ...“ Und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, sowie bayerische der Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm brachen eine Lanze für die Homo-Ehe: „Es entspricht zutiefst unseren biblischen Grundlagen, wenn auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften die Möglichkeit haben wollen, auf Dauer verbindlich miteinander zu leben." Vom Veranstaltungszentrum Regenbogen - für Lesben, Schwule und andere Identitäten, das jeweils während der Evangelischen Kirchentage und der Katholikentage organisiert wird, ging eine Resolution aus, die unter anderem fordert, eine innerkirchlich gleiche Rechtsstellung zu erwirken beispielsweise in Bezug auf kirchliche Eheschließungen und auf Dienstverhältnisse sowie „aktiv und öffentlich Widerspruch einzulegen gegen jede Form der Herabsetzung und Aussonderung in Kirche, Diakonie, Erziehung, Bildung und Gesellschaft.“
Heute dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland heiraten. Doch noch immer wird dies nicht von jeder Kirche akzeptiert. Vor allem in der Religion ist Homophobie 2021 noch stark vertreten.
Prof. Dr. Margot Käßmann ist Botschafterin für das Lutherjahr 2017. Die Theologin im Gespräch mit gay.de-Autor Peter Dettmer: "Martin Luther wäre 2017 political incorrect."
Landesbischof für die Homo-Ehe ❤️
Im Lutherjahr 2017 ist Akzeptanz keine selbstverständliche Einstellung, schätzte doch der Reformator in seinem Kommentar zum Römerbrief Homosexualität als „sittliche Abirrung der Menschen infolge ihres Gottesverlustes“ ein. An anderer Stelle wurde Luther deutlicher: Die heterosexuelle Ehe sei gottgewollt und in der Schöpfungsordnung begründetes Heilmittel gegen jede Art von sexueller Zügellosigkeit und Perversion, wie sie auch homosexuellen Akte darstellen. Am deutlichsten wird der Reformator in seiner Vorlesung zum Buch Genesis: Das homosexuelle Ansinnen der Bewohner Sodomas wertet er als 'contra naturam' (widernatürlich) sowie „perversitas“. Ihre eigentliche Wurzel habe diese Verkehrung in der Anstiftung des Teufels. Damit stellt sich Martin Luther in eine Linie mit den katholischen Theologen seiner Zeit. "Der Reformator ist halt nicht everybody's darling", beschrieb Prof. Dr. Margot Käßmann diese Einstellung. Trotzdem appellierte die Lutherjahr-Botschafterin, zum Reformator zu stehen. "Ich finde wir können feiern, dass wir heute auch die Schattenseiten von Luther sehen, ansprechen, darüber reden wie es war, warum das so war und auch zu sagen: Da irrte Martin Luther – diese Freiheit haben wir heute."
Leider ist Homophobie 2021 nach wie vor präsent. Darauf muss immer wieder aufmerksam gemacht werden. In einigen Ländern gehen Regierungen und Gesellschaft einen guten Weg, doch es reicht noch nicht – in keinem Land.
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