Es ist keine Überraschung, dass Depressionen unter schwulen Männern weit verbreitet sind. Alex Hopkins schaut auf die Geheimnisse, die wir in uns tragen - auf Peinlichkeiten, die uns oft seit der Kindheit begleiten und fragt nach unserem Schamgefühl. Was beschäftigt uns und wie können wir damit umgehen, um nicht in Selbstzweifel zu versinken und positiv in die Zukunft blicken zu können?
Ich erinnere mich lebhaft an den Moment. Ich lag auf meinem Bett, allein in meinem Zimmer. Unten meine Eltern - sie waren am Lachen und sprachen mit meinem Bruder und meiner Schwester.
Die letzten drei Monate hatte ich mich oben in meinem Zimmer zurückgezogen. Einen großen Teil der Zeit saß ich in der Ecke des Raumes. Der Fernseher lief.
Den Rest der Zeit habe ich nur an die Decke gestarrt, unfähig mich zu bewegen. Ich habe über meine Zukunft nachgedacht - Wie soll es weitergehen?
Nach Jahren des Mobbing in der Schule, hatte ich schließlich begonnen zu verstehen, dass diejenigen, die mich täglich verhöhnt, geschlagen und getreten haben, diejenigen waren, die ich begehrte – oder zumindest die Vorstellung von Sex mit ihnen.
Dieses Verständnis warf alles, was ich als Richtig hielt über den Haufen. Mich vor meiner Familie zu outen, war einfach keine Option. Ich kannte die Ansichten meines Vaters – jedes Mal wenn eine schwule Person im Fernseher zu sehen war, verspottete er sie. Die einzige Option für mich war, meine Sexualität zu verstecken - dafür entschied ich mich in diesem Moment.
Ehe, Kinder, ein Leben lang im Schrank - der Anfang vom Ende: mein Doppelleben. Alles was ich wollte, was ich brauchte, verweigerte ich mir – wie es die katholische Kirche von mir verlangte. Alles andere wäre gottlos. Damals zumindest. Nur nicht auffallen Meine Erfahrungen und Gefühle waren nicht ungewöhnlich für schwule Männer Mitte der 90er. Während es für Jugendliche heutzutage einfacher ist sich zu outen, bleibt es immer noch der entschiedenste Schritt, den sie jemals machen werden.
Religion und Kultur spielen eine große Rolle und für jede freudige „Coming Out-Geschichte“ mit Akzeptanz im eigenen Umfeld, von der wir in den Magazinen lesen, gibt es irgendwo auf der Welt einen Jungen mit Suizidgedanken. Da bin ich mir sicher.
Schwule Männer lernen außerordentlich früh das Tragen von Masken - wie sie sich eine Fassade aufbauen können – sich an Geheimnisse gewöhnen. Wie sie ihr eigenen Versteckspiel leben, um nicht aufzufallen.
Im Jahr 2011 schrieb Alan Downs, das vielleicht beste Buch zum Thema: "The Velvet Rage: Overcoming the Pain of Growing Up Gay in a Straight Man’s World". Downs Theorie ist, dass schwule Männer die tiefen Gefühle der Scham rund um ihre Sexualität bis ins Erwachsenenalter mitführen. Das Ergebnis der mitgeführten Last ist, das Streben nach unrealistischen Standards der Perfektion – ein Gerüst aus Geltungskonsums und körperlicher Schönheit. Seine Schlussfolgerung ist jedoch trostlos: kein Besitz, Sex oder Verehrung kann an dem geringen Selbstwertgefühl, das viele schwule Männer für den Rest ihres Lebens mit sich tragen, etwas ändern.
Ein neues Leben - ein weiteres Geheimnis.
Ich bin nicht schlagartig aus dem Schrank gekrochen, aber nach und nach, wie ein depressiver Zombie. Mein Coming Out verlief in Etappen. Ich fand die schwule Szene, den ersten Platz den die meisten Jugendlichen nach ihrem Outing aufsuchen interessant. Aber sie war nicht das Nirwana, das ich gesucht hatte. Oberflächig war alles spritzig und neu und aufregend, aber sie trug wenig dazu bei, die Geheimhaltung über mein Leben aufrecht zu halten. Die geborgene Kindheit wurde allmählich zerstört.
Die Verfügbarkeit von schnellem, ungezwungenem Sex erlaubte mir ein neues geheimes Leben aufzubauen: Cruising und Gay-Saunen.
Wir können uns vor unseren Eltern outen und sie können uns akzeptieren. Aber wie viele von uns fühlen sich sicher genug, um ihren Familien zu sagen, dass sie zu diesen Orten gehen – Orte, die in der schwulen Szene allgegenwärtig sind.
Das Ergebnis ist, dass wir häufig ein Doppelleben führen. Ein äußeres Erscheinungsbild aus Seriosität, die unsere Familien verkraften können und dann eine versteckte, dunkle Welt, die wir nicht in der Lage sind, mit anderen zu teilen. All dies erschwert die Suche nach „Authentizität“, die Downs in seinem Buch untersucht.
Scham ist nicht gut für die geistige Gesundheit und es ist keine Überraschung, dass Depressionen unter schwulen Männern so weit verbreitet sind.
Schau dich um - wie wir uns untereinander verhalten. Wir beurteilen unsere Freunde und Kollegen gnadenlos und stoßen jeden beiseite, der nicht unserem Ideal entspricht. Kein Waschbrettbauch, kein sexy Sixpack, keine Oberarme wir Popeye, keine straffen Oberschenkel, kein Manager-Gehalt, keine eigene Imobilie - Vorurteile und Klischees, die wir uns selbst geschaffen haben, tragen dazu bei, dass für andere versagt haben.
Ich habe mich oft gefragt, warum aber gerade diese Männer, die unserem Ideal entsprechen es sind, die der Realität nicht stand halten. Harte Schale, weicher Kern - that´s life!
Auch die Phänomene Chem Sex & Chillouts, die die schwule Szene dominieren, können wir „den Masken, die wir tragen“ zuordnen. Ich würde es als Versteckspiel 3.0 bezeichnen.
Wochenende, Party, Darkroom - die wirklichen Szenegänger verstecken sich für mehrere Tage in einem dunklen Raum, dröhnen sich zu und entfliehen ihrem Alltag. Das Smartphone imm griffbereit, das nächste Date schon im Petto.
Es ist wie das verängstigte Kind allein in der Ecke des Spielplatzes, hoffnungslos, beim Versuch direkten Augenkontakt zu vermeiden. Aber nach außen muss die große schwule Show natürlich weitergehen.
In London – wie auch in anderen großen Städten – ist der Anblick eines schwulen Mannes in einem Designer-Anzug, der Drogen konsumiert bevor er zu seinem anspruchsvollen, lukrativen Job in die Bank geht, leider nur allzu häufig.
Keiner von uns hat das Gefühl, dass wir uns einfach nur gehen lassen können. Realitätsflucht ist das Stichwort.
Die Suche nach unserem authentischen Selbst bedeutet nicht, dass wir die Art Sex – oder die Orte, wo wir ihn haben – hinter uns lassen müssen.
Schwule Männer haben immer wieder neue Wege gefunden, zueinander zu finden und ihr Leben zu genießen - auch außerhalb heteronormativer Zwänge. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.
Entscheidend ist, das selbstzerstörerische Verhalten abzulegen, das wir mit Sex verbinden. Die Schuld in unserer Kindheit zu suchen, ist keine Option.
Vielleicht ist es auch mittlerweile ein Problem, dass wir Rechte und Freiheiten gewonnen haben, die wir früher nicht hatten. Das Gefühl, was uns zum Zusammenhalten gebracht hat, verwässert. Der Kampfgeist schwindet.
Die Fortschritte, die wir bei der Gleichstellung gemacht haben sollten etwas sein, dass wir feiern und sie sollten dazu führen, dass der Terror und das Versteckspiel nur eine dunkle Erinnerung sind.
Das Problem ist vielleicht, dass unser Innenleben oft nicht synchron mit den beispiellosen Fortschritten die wir in homosexuellen Rechten gemacht haben ist.
Wir spielen einen Spiel mit uns selbst und müssen dringend Wege finden, unser Gepäck in der Vergangenheit zu lassen…
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