Eigentlich ist Online-Dating ja etwas Schönes, gerade als schwuler Mann: Anstatt sich wie früher unsicher sein zu müssen, ob der Gegenüber auch auf dasselbe Geschlecht steht oder sich in schmuddeligen Bars rumtreiben zu müssen, bekommen wir die unbegrenzte, praktisch sortierte Auswahl an heißen Dating-Partnern direkt auf unser Handy serviert.
Was sich erstmal ganz schön angenehm anhört, hat aber auch einen gewaltigen Haken. Wir stumpfen ab – und werden in der Folge immer oberflächlicher. Bodyshaming und Diskriminierung innerhalb der Szene sind keine Seltenheit.
Ich selbst habe mich bis vor einigen Jahren beim Online-Dating verhalten wie am Tisch eines guten Running-Sushi Restaurants: Alles, was nicht in das Beuteschema passte, wurde erst mal drastisch aussortiert, während der Stapel an Tellern mit angebissenen Köstlichkeiten immer größer wurde – gut, an dieser Stelle ist diese Metapher vielleicht ein bisschen übertrieben.
Trotzdem sah mein früheres Datingprofil eher aus wie die Karte eines Auto-Quartetts als eine Vorstellung meiner Person. 1,87m groß, 64kg schwer, damals 19 Jahre jung, Körpertyp schlank, keine Tattoos. Und genau so filterte ich auch die Suchergebnisse meiner potenziellen Sexpartner heraus. Ich zimmerte mir meinen Traummann, scrollte mich durch ein schier unbegrenztes Angebot; anstatt Menschen kennenzulernen, scannte ich Bilder.
Doch diese Art des Datings macht uns kaputt! Klar, wer den schnellen Sex sucht, der kann Filterfunktionen nutzen, um genau den Partner zu finden, den er präferiert. Das Problem fängt aber genau da an, wo es um echte Gefühle geht: Stumpfen wir nicht alle ab, zwischen den hunderten Bildern trainierter Männer? Hören wir auf, Menschen eine Chance zu geben, die vielleicht auf den ersten Klick nicht in unser Beuteschema passen? Isolieren wir uns so nicht selbst viel mehr und werden härter zu unserem Körper?
Tatsächlich beschäftigt der schwule Körperkult Wissenschaftler*innen rund um den Globus und es wurden sogar schon Studien zur Oberflächlichkeit schwuler Männer angestellt. Der Druck, besonders trainiert und schön zu sein, ist kein vages Gefühl, das den ein oder anderen von uns vielleicht umtreibt. Vielmehr haben 84% der schwulen Männer, die bei einer Umfrage des Attitude Magazins mitgemacht haben bestätigt, dass sie den Druck verspüren, einen besonders guten Körper haben zu müssen. Wer sich dann durch die Datingprofile der ein oder anderen schwulen Männer klickt, wird früher oder später auch auf Sätze wie no fats, no femmes, no asians stoßen, die nicht nur rassistisch sind, sondern auch Bodyshaming weiter befeuern.
Denn während Oberflächlichkeit im ersten Moment niemandem weh tut, resultiert innerhalb der Gay-Community aus dem besonderen Augenmerk auf Äußerlichkeiten ein wahrer Bodyshaming-Kult: Wer zu dick, zu dünn, zu groß oder zu klein ist, wird dafür angegangen und ausgegrenzt. Doch wieso sind wir denn überhaupt so oberflächlich? Klar, durch die andauernde Flut an halbnackten Bildern auf Online-Dating Plattformen stumpfen wir ab; aber es gibt weitere gute Gründe, warum schwule Männer oberflächlich sind: Gay-Parties zelebrieren nicht nur auf ihren Facebook-Veranstaltung das Körperideal des durchtrainierten, heteronormativen Mannes – auch auf der Tanzfläche wird schnell klar, wer hier das Sagen hat. Und die queere Popkultur hat uns in den letzten Jahren auch immer wieder vermittelt: Wer nicht in die Kategorien aus Twinks, Hunks, Otter oder co. passt, ist ziemlich verloren in der schwulen Datingwelt. Bis vor Kurzem wurden in großen Hollywood-Produktionen schwule Männer immer ähnlich portraitiert: Durchtrainiert, schön und weiß.
Dass wir uns in einem extrem oberflächlichen Datingumfeld bewegen, hat messbare Folgen. Zwei amerikanische Wissenschaftlerinnen haben herausgefunden, dass ⅓ aller befragten schwulen Männer schon mal wegen ihres Körpergewichts beleidigt wurden. Dabei waren 20% der als “zu dick” bezeichneten Männer aber total normalgewichtig oder hatten sogar Untergewicht. Außerdem hat eine weitere Studie gezeigt, dass schwule Männer ein signifikant höheres Risiko haben, eine Essstörung zu entwickeln.
Ich habe vor einigen Monaten schon ein Video zu diesem Thema veröffentlicht, das im Netz heiß diskutiert wurde. Mich erreichten unzählige Kommentare, die mir selbst unterstellt haben, oberflächlich zu sein und mit dieser Meinung eine Doppelmoral an den Tag zu legen. Leben und leben lassen, wurde mir empfohlen. Ich streite aber nicht ab, selbst oberflächlich gewesen zu sein und noch immer Männer im ersten Moment nach ihrem Aussehen zu beurteilen – das ist wohl leider die menschliche Prämisse. Was sich aber ändern muss, ist der Hass, den wir Männern, die nicht unserem Ideal entsprechen, entgegenbringen. Nein, wir müssen nicht zwanghaft jemanden daten, der uns äußerlich nicht anspricht. Aber wir müssen aufhören, in starren Mustern aus Gay Tribes und Körpertypen zu denken; und wir müssen aufhören, so verdammt gemein zueinander zu sein!
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