Jump to content

Thomas Mann und die Homosexualität


Empfohlener Beitrag

Geschrieben

@Crotalus
Ich habe nicht gehofft, in so kurzer Zeit einen so monumentalen Text als Antwort auf meinen bescheidenen Aufruf zu finden. Da muss man ja auf unser Forum stolz sein. Ich möchte wissen, wo es Vergleichbares gibt. -
@Hajo
Wenn man nichts beitragen kann, sollte man schweigen. Das hält die Datenbahnen frei.


  • Moderator
Geschrieben

oops, schulschung .... :P ich schweig' schon stille ^^


Geschrieben

Kleine Korrektur: Da ich u.a. Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft studiert habe und mir noch immer der Hang zum genauen Analysieren und wissenschaftlichen Systematisieren geblieben ist, weiß ich sehr wohl, wovon ich schreibe.
Das metaphyselnde Geschwurbel von @Crotalus ist ja recht putzig, und ausgesprochen herzig der Versuch, Paulus, Plotin, Rousseau und fernöstliche Religionen mit einem Angriff auf die Journaille zu verbinden. Doch solcherlei ungenießbares, mit der These von der angeblichen Nurgeilheit der Homosexuellen angereichertes Ideenragout auch noch zu kommentieren, das erspare ich mir lieber.


Geschrieben

Ich bitte generell darum Beiträge ohne wirkliche Aussage, welche zudem völlig themafremd sind, zu unterlassen. Diese stören lediglich den Lesefluss. Das Thema "Thomas Mann und die Homosexualität" bietet jede Menge Diskussionsstoff. Danke.

LG MueMue, MOD


Geschrieben

Auch eine kleine Korrektur: Auch ich habe Literaturwissenschaft studiert und abgeschlossen. Ich bin dennoch kein Literaturwissenschaftler, so auch Minotaurus nicht. Der sich abzeichnende Umgang mit dem Text von Crotalus stellt eine schwere Provokation dar. Ich appelliere vor allem an Sie, Mario! Wie sympathisch ist dann doch Hajos Reaktion. Das ist ihm zu hoch ,und er zieht sich zurück. Dagegen ist nichts zu sagen!


Geschrieben

Eine sozialanthropologische Untersuchung und kulturgeschichtliche Analyse der jeweiligen Bedingungen für homoerotisch empfindende Menschen im christlich-abendländisch geformten Europa ist nicht mit metaphysischem Wischiwaschi zu betreiben, und schon gar nicht mit dem Verweis auf fernöstliche Religionen, die auf die geistige und gesellschaftsnormative Entwicklung Europas bis ins 20 Jahrhundert hinein keinerlei Einfluss hatten.
Wer einen Thread über Homoerotik, bzw. Homosexualität, (der Unterschied ist signifikant!) gleich mit einer negativ wertenden Stellungnahme von Thomas Mann eröffnet, hat einer wertfreien Diskussion von vornherein den Weg verbaut. Schade ums Thema.


Geschrieben

.Für heute nur kurz ein paar Erwiderungen. Ich liebe selbst begriffliche Schärfe. Ihre Unterscheidungen von "Homoerotik" und "Homosexualität" verdienen aber diese Bezeichnung nicht. Und dann: Thomas Mann bewertet Homosexualität ausgewogen, aus Kenntnis und leidvoller Erfahrung, keinesfalls bloß "negativ wertend". Sie gehen doch weit unter Ihr Niveau, indem sie scheinbar (!) nicht bemerken, wie verständnisvoll er sein Leiden und das seiner Kinder sieht. Schade ums Thema, wenn hier Problemfreies erwartet wird.
Ich möchte Ihnen wünschen, dass Sie Crotalus´ Text mit Aufmerksamkeit lesen und Ihre Gegengründe vortragen. Allerdings sollten Sie auf substanzarme Wertungen wie "metaphysisches Geschwurbel" tunlichst verzichten. Ich unterschätze nicht Sie und Ihren Geschmack. Sie wissen sehr genau, dass es sich um einen Text handelt, der unsere ganze Aufmerksamkeit verdient.


  • Moderator
Geschrieben


...Wie sympathisch ist dann doch Hajos Reaktion. Das ist ihm zu hoch ,und er zieht sich zurück. Dagegen ist nichts zu sagen!




Naja, also "zu hoch" ist mir das sicher nicht, auch wenn ich nicht alle sene Veröffentlichungen gelesen habe, muss man sicher auch nicht. Trotzdem ist mir T. Mann durchaus ein Begriff, und ich finde ihn sowohl lesenswert als auch diskussionswürdig. Nur halte ich ein solches Thema für ein Forum wie dieses weniger geeignet. Ich fände es weitaus sinnvoller und effektiver wenn sich die Herren vielleicht in einem Privatchat weiterstreiten könnten. Ich bin eben der Meinung dass die Threads in diesem Forum möglichst viele Leser ansprechen sollten. Das ist mit dem Thema und den bisherigen Beiträgen hierzu kaum gegeben.

Zum einen ist die Anzahl der Forenleser hier recht überschaubar, und der weitaus grössere Teil der Leser dürften an solchen Themen eher wenig interesse haben, wie ja auch schon @Sunrise in seinem Beitrag andeutete.
Zum anderen irritiert mich auch die Art und Weise dieser Diskussion. Man könnte denken die Herren hätten den guten Thomas Mann allesamt höchstpersönlich gekannt.

Wollte ich nur mal loswerden, ich störe dann auch nicht mehr, versprochen


Geschrieben

In diesem Thread, der mit einem Zitat von Thomas Mann anhebt - einem Zitat, das sich aus persönlicher Verstricktheit und Differenz nährt und ganz sicher kein wissenschaftlicher Satz sein will -, soll es jetzt also plötzlich um eine "sozialanthropologische Untersuchung" und "kulturgeschichtliche Analyse" gehen. Um diese zu ermöglichen, befreit unser geschätzter Autor erst einmal das Alte Europa von seinen sämtlichen, angeblich leibfeindlich befangenen Denkern, um auf der tabula rasa, die sich damit auftut, ein sozialanthropologisches Puppenspiel aufzuführen. Lächerlich.

Geschrieben

@Hajo
Ich wollte niemandem zu nahe treten und dir natürlich auch nicht unterstellen, du könntest beim Thema Thomas Mann nicht mitreden. Auch deine Kritik , wir führten uns als ganz besondere Mann- Kenner auf, erscheint mir beachtlich. Man sollte sich bescheidener geben!
Ich möchte aber noch zweierlei bemerken.!. Ich habe mehrfach (mich wiederholend) darauf aufmerksam gemacht, dass ich ganz andere Dinge hier diskutieren wollte.Das Mann-Zitat ist nur der Aufhänger. 2. Dein Hinweis auf die "Quote" ist ( Verzeih bitte!) unaufrichtig. Im Forum wird über sehr vieles diskutiert, ich habe mich über einige Themen einmal ironisch geäußert und dafür von dir einen starken Nasenstüber bezogen. Bei so vielen Threads mag auch meinem ein Plätzchen bleiben. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die an anderer Stelle Schließungen fordern. Jedem nach seinem Geschmack, wir nehmen anderen nicht den Platz weg. Lasst tausend Blumen blühen.


  • Moderator
Geschrieben

@nuwas:
Wie ich ja schon einmal erfahren durfte bist ja du, nuwas, sehr geneigt, kritische Einwürfe meinerseits etwas zu persönlich zu nehmen. Dabei habe ich garnicht dich gemeint, sondern die Herren Literaturkritiker ganz allgemein. Das Zitat von dir zu meiner Person war dann auch weniger der eigentliche Grund für meinen Beitrag, sondern eben auch nur der "Aufhänger".

Mir ist aber auch völlig klar, dass du ursprünglich "ganz andere Dinge" diskutieren wolltest. Nun hast du aber auch schon genügend Erfahrung in diesem Forum um wissen zu können, dass dein Eröffnungsbeitrag in dieser Form unweigerlich die Herren Literaten und "Ranitcki's" auf den Plan rufen würde. Bei dem bisherigen Diskussionsverlauf ist dann auch wohl kaum noch mit einer breiteren Beteiligung zu rechnen.

Gegen Ironie habe ich übrigens absolut nichts, wer meine Beiträge kennt weiss wie ironisch der Knuddelhajo posten kann, nur sollte sie nicht zu persönlich werden, denn Ironie kann zuweilen auch verletzten.

So, und jetzt halte ich mich wirklich raus hier.


Geschrieben

" Wenn nun aber einmal eine es ehrlich meinende und in vollem Ernst auf Wahrheit, und nichts als Wahrheit gerichtete Philosophie auftritt, muss da nicht den Herren vom philosophischen Gewerbe zu Mute werden,wie den in Pappe geharnischten Theaterrittern, wenn plötzlich unter ihnen ein wirklich Geharnischter stände, unter dessen schwerem Tritt die leichten Bühnenbretter bebten?"- Dieser wirkliche Ritter ist nun mit Crotalus aufgetreten, und wir schwenken die Pappschilde und fuchteln mit den Holzschwertern herum, wenn wir es nicht klugerweise für besser halten, betreten zu schweigen.
Was unterscheidet denn Crotalus von den anderen Foristen? 1. Crotalus dringt auf Wahrheit und nichts als Wahrheit, daher sein furioser Angriff auf das bodenlose Mundwerksburschentum der Journalisten, denen auftragsgemäß vieles in vielfacher Weise gut erscheint. 2. Crotalus hat ein starkes Verhältnis zur Tradition. Er hat sich nicht mit Bildung vollgegessen, sondern das bekömmliche Wissen assimiliert und in Leben umgesetzt. 3.Crotalus eignet ein herrischer,soldatisch-elitärer Zug. Die Exklusivität der Wahrheit verlangt die stolze Zurückweisung des halb Gedachten.Mit einem solchen Anspruch macht man sich im Zeitalter der Gleichheit nicht nur Freunde.Allein die Stringenz seiner Darlegungen in plastischer Sprache wirkt auf manche (angesichts ihrer sprachlichen Maria-Hilf-Süppchen) wie ein arroganter Vorwurf. 4.Crotalus ist ein Idealist, der jenseits der allseits beobachtbaren Wohlfühlmentalität der Bequemen einen exklusiven Lebensbegriff vertritt. Der Begriff "Leben" erscheint bei ihm wie in Goldglanz. Es ist ein Über-sich- Hinausgehen, ein Arbeiten am eigenen Leib und an der Seele wie an einer Statue, damit es jenseits von bequemer "Natürlichkeit" zum Außerordentlichen kommen kann. Das setzt aber Verzicht voraus und die heute übelbeleumundete Askese.
Und so haben wir doch eine Antwort auf die Frage des Threads gefunden: Homosexuelle Liebe kann ihren eigenen Sinn haben.Sie ist die Liebe der Distanz und des Verzichtes. Sie betastet nicht roh. Eros als Kraft und Antrieb, sich selbst zu gestalten, so dass man anderen Vorbild und Ideal sein kann und "liebenswert" wird. Eros als bewundernde Nachahmung dessen, der einen höheren Grad von Weisheit, Tapferkeit und Maß vorlebt.


Geschrieben

Welch aparte Konstellation: Crotalus ist Gott und Nuwas sein Prophet.
Lieber Sankt Schwulius, bewahr' den Thomas Mann post mortem und uns noch Lebende vor blinden Sektenpredigern aller Art.


Geschrieben

Das sind die Hiebe mit dem Holzschwert! - Was hätte wohl Thomas Mann zu "Sankt Schwulius" gesagt?-Als Herr, der er war, hätte er wahrscheinlich nur die Augenbrauen hochgezogen.Aber auf eine Einladung in das Haus Mann hätte man fortan verzichten müssen.
Man muss nicht Sektierer sein, um gelegentlich der feucht-fröhlichen Beschwingtheit und den obszönen Anekdoten ein wenig den Ernst vorzuziehen. Dabei gerät man schon einmal in einen Predigerton.
Ich bin ein viel zu bescheidener Realist, um hier als Prophet maskiert aufzutreten.- Über die Diagnose "Blindheit" mögen Berufene urteilen.


Geschrieben

Meine Herren Literaturstreithähne , so sehr Ihre Diskusion für einige User interessant sein mag und von Ihrem umfanreichen Wissen zeugt, so kann ich mir nicht des Eindrucks verwehren, dass es doch inzwischen reichlich überspitzt ist und eigentlich nicht mehr mit dem im Threat eröffnetem Themas zu tun hat.


Geschrieben

Ich schreibs hier mal ganz brutal raus, der @Nuwas ist einfach vom schlanken Körper und von der soldatisch asketischen Art von @Crotalus angezogen. Anders kann ich mir seinen Kult um ihn nicht vorstellen.
Und übrigens find ich den Text von Crotalus hier nicht schlecht, hat einige sinnvolle und angenehme Gedanken, alles in allem ist er doch recht überspitzt - und manchmal nicht ganz einfach zu verstehen.
Und ich kenn mich ja nicht aus in Methaphysik, doch der Text hat was abgehobenes etwas im Stil von Fr. Nietzsche, ist das jetzt das Metaphysische?


Geschrieben

@Sunrise
Meinen Dank für deine Komplimente ("umfangreiches Wissen") ! Du solltest aber auch sehen, dass wir gerade erst bei dem Thema des Threads angekommen sind. Es ging ja , wie schon mehrfach angemerkt, gar nicht um einen Austausch von Wissensbeständen über Mann. Hier konnte sich jeder beteiligen, auch wenn er nie etwas von der Familie Mann gehört hatte.Hier geht es um die Frage, was homosexuelle Liebe ist und was sie sein kann.Hier stehen wir nun an einem Scheideweg ,und da musst du nun mit viel Geschmack entscheiden.Da gibt es die Wege von Crotalus und Minotaurus. Der eine vertritt ein höchst anspruchsvolles Ideal schwuler Liebe, der andere meint,dass nach den Jahren der Verfolgung es nun Zeit sei, die Dinge lockerer zu sehen, realistisch auf dem Boden zu bleiben, mit Hinweis auf sexuelle Marotten das Thema ohne Krampf anzugehen. Und in diesem entscheidenden Moment willst du das Thema schließen??
Nebenbei: Dir ist nicht entgangen, dass es im Forum still geworden ist. Sollen wir das einzige umstrittene Thema abschließen??


Geschrieben

@Nuwas, schön dass wir zum eigentlichen Thema des Threats zurückkehren.
Wie schon bereits von mir mehrfach angeführt, selbst auf die Gefahr der Wiederholung, war es in meiner Jugendzeit und ich bin wohl schon einer der Älteren hier, äußerts problematisch seine Sexualität auszuleben.
1950 war ich 14 und mitten in der Pupertät. Abgesehen von den Spielereien mit Gleichaltrigen, war es schier unmöglich sich über Sex und speziell der Homosexualität. zu informieren.
Aufgewachsen in einem kath. Haushalt im erzkonservativem Westfalen wurde nicht über Sex oder gar Fortpflanzung gesprochen. Vielen und auch mir erging es nicht anders, waren auf Entdeckung unserer eigenen Sexualität.
Doch wo hätten wir uns Rat und Aufklärung holen können? Schon alleine darüber zu reden war ja iim vom rheinischen Katholozismus ein Verstoß gegen die bestehenden Moralvorstellungen.
Mein Deutschlehrer hat mich dann auf Thomas Mann verwiesen - Zauberberg oder Tod in Venedig.
Darin konnte man zumindest andeutungsweise etwas über Zuneigung zum eigenem Geschlecht erfahren.
Auch wenn Thomas Mann letztlich nicht klar Stellung bezogen hat und sich um eine klare Erklärung gedrückt hat. Doch das muß man sicher der damaligen Zeit zugestehen.
Ein Jahr später hatte ich dann mein erstes, richtiges homosexuelles Erlebnis. Doch immer mit der Angst entdeckt und bloßgestellt zu werden.
Immer habe ich es als Sünde empfunden mit einem anderen Menschen gleichen Geschlechts Sex zu haben. Doch was sollten wir machen. Mädchen zierten sich. So glaubte ich erst ein erfülltes Sexleben mit einer Heirat zu erlangen. Doch bis dahin wäre es noch lange hin, ca 10 Jahre nach der Meisterprüfung.
Das es Homosex war kam uns gar nicht in den Sinn. Das Wort war allgemein nicht geläufig und unter einem "Warmen Bruder" konnte ich mir auch nichts vorstellen.
Ich ging ja noch zur Schule und nach Lehre zur Fachhochschule. Da hatte man gar keine Gelegenheit auf andere schwule Männer zu treffen. Wie sollte man auch diese erkennen, da es ja noch den § 175 gab und damit erpressbar?
So blieb man weitgehends allein. Was ich bedaure, denn man konnte kein normales Sozialempfinden in seiner Sexualität entwickeln.Nur schneller, meist anonymer Sex hatte man, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot.
Doch immer mit dem Gefühl, es ist Sünde, etwas Schlechtes und Verbotenes. Keine Gefühl der Zuneigung. Es war viel zu gefährlich seinen Freund einmal zärtlich zu berühren, an die Hand zu nehmen, ihn zu küssen.
Die späten Nachwirkungen sind bis heute noch nicht kompensiert. Minderwertigkeitsgefühle in der eigenen Familie.
Als meine Homosexualität bekannt wurde, mußte ich das Elternhaus verlassen, weil mein Vater als Politiker keinen schwulen Sohn akzeptierte. Ein Grund zu studieren, um ihm dennoch zu beweisen, dass ich ein vollwertiger Mensch bin. Flucht in die USA. Doch die Familie in der ich dort lebte, war ebenfalls streng Katholisch.
Danach weitere Studien und Arbeit in Mittelamerika. Immer auf der Flucht vor der eigenen Sexualität, gleichfalls auch um mir selbst zu beweisen, jemand zu sein.
Natürlich gab es auch Sex. Nie aber mit einer letzten Hingabe. Meine Generation hatte es ja nicht gelernt.
Ich glaube auch heute noch, dass Menschen, die nie ein normales sexuelles Verhalten erlernen konnten, dazu neigen schnellen Sex und One-Night-Stands zu bevorzugen, weil sie nie gelernt haben mehr zu geben.
Ich lebe heute überwiegend in Asien. Wegen meiner beruflichen Kenntnisse ist mein Rat noch gefragt und ich erfahre Anerkennung, nach der ich solange gesucht habe. Dort bin ich nach wie vor der "BIg Boss".
Aus dieser Selbstsicherheit und der Begegnung mit dem Buddhismus mit Meditationsübungen, bin ich heute in der Lage mich ganz fallen zu lassen, frei von aller Angst.
Ich liebe meinen jungen Freund, auch wenn es von seiner Seite manchmal Versorgtsein zu wollen, der Grund für seine Zuneigung ist. Doch unsere Liebe ist frei von allen Vorurteilen.Auch ein Grund treu zu sein.
Manchmal braucht man wohl ein ganzes Leben, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.


Geschrieben

Lieber Sunrise,
ich möchte dir gleich antworten, weil ich überrascht, ja geradezu gerührt bin über die Offenheit und Menschlichkeit deines Berichtes, der für uns alle hoffentlich ein Anreiz ist, sich offen und frei zu diesem Thema zu äußern. Ich möchte später antworten und auf Parallelen hinweisen. Der rheinische Katholizismus hat es offenbar in sich.


Geschrieben

Es nützt nichts: Wenn nämlich die Raupen der wissenschaftlichen Ratio den mythisch-mystisch ins Kraut geschossenen Kohl gefressen haben, dann ist das für theologische und philosophische Schrebergärtner gewiss ein nachvollziehbares Ärgernis. Doch die Bitternis solchen Kohlverlustes rechtfertigt noch keineswegs, larmoyant biologische Grundtatsachen zu leugnen. Und dazu gehört nun einmal, dass erotische Anziehung und Sexualität, gleich welcher Natur, zum stammesgeschichtlichen Erbe der Menschheit zählen. Seit den ersten großen Zeugnissen der Weltliteratur - dem Gilgamesch-Epos ebenso wie der Geschichte von David und Jonathan in der Bibel - ist ebenso bekannt, dass gleichgeschlechtliche Zuneigung ein unumstößliches Faktum ist, ganz gleichgültig, wer wo zu welcher Zeit meinte, diese natürliche Spielart der Liebe und die damit gekoppelt sein könnende Sexualität verdammen zu müssen.

Um eins mal klarzustellen: Weder masturbatorische Knabenspiele in Kamtschatka noch präkolumbianische Terrakotten aus Peru mit sexuellen Darstellungen aller Art haben die geistige Grundlage zur Ächtung und Verfolgung der Schwulen in Europa geschaffen, auch fernöstliche Religionen nicht. Selbst die Lustknaben osmanischer Sultane könnten allenfalls ihren späten Niederschlag in den Fatwas iranischer Mullahs finden. Die Ängste vor den eigenen homoerotischen Wünschen, wie sie uns @Sunrise so eindrucksvoll schildert, haben sozial- und kulturgeschichtlich einen eindeutig belegbaren Hintergrund. Sowohl das Christentum als auch der Islam, die heute rein zahlenmäßig führenden und bestimmenden Weltreligionen, haben ihre homophobe Grundeinstellung aus den mosaischen Schriften der alten Hebräer übernommen. Das weiß jeder, der sich mal nur andeutungsweise mit Religionsgeschichte befasst hat. Ebenso ist es Allgemeingut, dass es das die europäische Gesellschaft prägende und gesellschaftspolitisch beherrschende Christentum war, das die Leibfeindlichkeit besonders forcierte, bis hin zur Anordnung der angeblich richtigen Stellung beim Geschlechtsverkehr oder dem Onanierverbot. Das alles ist längst wissenschaftlich gut dokumentiert (einschließlich der Onanierunterdrückungsinstrumente für männliche Jugendliche, noch im 19. Jahrhundert!) . Vom "Glanz des Lebens", wie einer der Mituser meint, war in der gesamten Epoche des Christentums in Bezug auf Sexualität in Europa nie die Rede, geschweige denn von einer Duldung, gar Akzeptanz der Homoerotik, ungeachtet der schwul-schwülstigen Jugendgedichte des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam. Sexualität generell galt als des Teufels, als Anfechtung durch das Böse - man lese dazu nur einmal (wenn man nicht zu faul und zu borniert ist) die Kirchenväter nach, die Summa theologica des Thomas von Aquin oder Hexenprozessakten aus dem 17. Jahrhundert.

Wieviel Schwule wurden auf Scheiterhaufen verbrannt (darunter ein Dichter zur Zeit Ludwigs XIV. ); mit welcher Begründung wurden Schwule durch das preußische Landrecht (und daraus abgeleitet im deutschen Strafgesetzbuch als § 175) kriminalisiert und eingesperrt? Ist's da ein Wunder, wenn Schwule oftmals geradezu hochneurotische Ängste entwickelt haben und verzweifelt waren und immer noch sind über ihre angeblich nicht "normale" Neigung? Viele haben zwangsläufig sich zu wahren Verdrängungskünstlern entwickelt. Der in die bürgerliche Gesellschaft eingebettete Thomas Mann war einer von ihnen, der allerdings - was viele mangels Talent nicht können - seine homoerotischen Sehnsüchte literarisch zu kompensieren vermochte.


Geschrieben

Hallo Sunrise,

ich danke Dir sehr für Deinen offenen und sehr gut lesbaren Beitrag und finde, es sollte hier noch viel mehr solcher Beiträge geben, nicht nur Literaturbeiträge, sondern eigene Meinung, offene Beiträge, sich über die eigenen Gefühle austauschen und nicht nur über Bibel, Koran, Literaturhinweise hinwegzustolpern.

LG Topi


Geschrieben

Verehrter Minotaurus,
ich möchte mir erlauben, Ihr Konzept der Weltgeschichte hier ganz kurz und sehr vereinfachend darzulegen. Nach Ihrer Meinung gibt es die "Wissenschaft", das ist die seit den großen Systemen des 17. und 18.Jhdts sich entwickelnde mathematisch -logisch bestimmte" Erkenntnis". Ihr Licht bescheint eine heile Welt: Frauen und Männer leben einträchtig und gleichberechtigt, ebenso glücklich sind die Schwulen.- Dieses Lager bekämpfen die Mächte der Vergangenheit, der Finsternis: die Religion, die Mythen, die Mystik. Sie sind verantwortlich für alle Probleme, die uns noch verblieben sind: nationale Auseinandersetzungen, Geschlechterkampf, Schwulenverfolgung. Wenn wir diese düsteren Mächte der Widervernunft nur schnell entlarven, lächerlich machen,ausrotten, dann wird diese Welt von einem Paradies kaum noch zu unterscheiden sein.-
Aber so geht das nicht! Die moderne "Wissenschaft" bringt viele neue,gefährliche Probleme mit sich. Die meisten Wissenschaftler heute sind sehr skeptisch und weisen auf die Grenzen der Wissenschaft. Die Formen des sogenannten "Irrationalismus" ( zur Sprache gebracht vom Deutschen Idealismus,der Romantik, der Lebensphilosophie etc.) beanspruchen ebenfalls, menschliche "Vernunft" zu sein, und behalten neben der mathematisch-technisch bestimmten " Wissenschaft" ihr Recht. Wir kommen nicht weiter mit dem vernunftstolzen Weltbild des Physiklehrers von 1930
Was bedeutet das für uns Schwule?Es gibt keinen Grund, optimistisch zu sein. Alle Vorzeichen deuten aber darauf hin, dass sich die Lage entspannt hat.Die Akzeptanz schwuler Lebensformen nimmt zu, obwohl noch viele Menschen von anderen Mächten als der mathematisch-logisch definierten "Vernunft" bestimmt sind. Dieser Befund zeigt, dass der behauptete Zusammenhang von Religion /Schwulenhass irrig ist. Auch in Zukunft werden wir allerdings mit Irritationen zu kämpfen haben.
@Sunrise Ich werde schreiben, aber es fällt mir schwer, ganz offen zu sein.
@Hansmarkus Es ist interesseloses Wohlgefallen..


Geschrieben

Dächte ich so, wie Sie, verehrter @Nuwas, mich einzuordnen belieben, dann könnte Ihnen ein gewisses Maß an Richtigkeit nicht abgesprochen werden. So aber ist Ihre Verkürzung meines angeblichen "Konzepts der Weltgeschichte" einfach nur ein - pardon! - an den Haaren herbeigezogener Schmarren. Nichts, aber auch gar nichts stimmt von dem, was Sie unterstellen. Aus meinen bisherigen Beiträgen jedenfalls lässt sich das unter keinen Umständen ableiten.

An @Topi und alle Mituser
Es gibt kein Heute und kein Morgen ohne das Gestern. Für niemanden. Auch nicht für die, die einfach in den Tag hineinleben und meinen, es erübrige sich darüber nachzudenken, woher Vorurteile kommen, wie Fremden- und Rassenhass entstehen, oder was wohl ursächlich zur Homophobie in christlichen und islamischen Ländern beigetragen hat. Gerade letzteres kann gar nicht ohne den Rückgriff auf gesellschaftshistorische Entwicklungen untersucht werden, zumal die jahrtausendealte Schwulenfeindlichkeit bis zum heutigen Tag und darüber hinaus eindeutig einen religiösen Ausgangspunkt hat. Bei dieser Untersuchung werden wir zwangsläufig eben nicht verzichten können auf Literaturhinweise, seien es die Bibel, die törichten Sexualtheorien des 19. Jahrhunderts oder aktuelle Homosexuellenverfolgungen in vielen Ländern der Erde. Deshalb halte ich es für grundverkehrt, sich in einer Diskussion über Homosexualität und Homoerotik darüber zu mokieren, dass klipp und klar benannt wird, woraus das Grundübel der Homophobie entstanden ist.

Wir haben uns zu fragen, woher denn die Ängste kommen, die beispielsweise @Sunrise so anschaulich geschildert hat. Was hat es denn für eine Bewandtnis damit, dass heutzutage zig Millionen Schwule in halbwegs liberalen Ländern wie Deutschland immer noch Versteck spielen? Oder in anderen Ländern klugerweise sich verbergen, weil sonst die Folgen unabsehbar sind? Warum können Minister die Verhaftung von Schwulen anordnen und wieso werden Schwule zur öffentlichen Hinrichtung an Baukränen aufgehängt wie im Iran? Warum müssen selbst deutsche Durchschnittsschwuppen Angst haben davor, nicht unbehelligt durch manche nächtlichen Straßen gehen zu können? Weshalb gilt Schwulsein hier in unserem so anscheinend aufgeklärten Land als Makel, der manche Karriere versauen kann? Und weshalb verbergen Schwule ihre homoerotische Neigung selbst vor engsten Angehörigen nach dem Motto: "Das kann ich doch meiner Mutter nicht antun"?

Es gibt nichts ohne Ursache. Würden nicht religiöse Eiferer und Prediger schon seit 3000 Jahren Homoerotik und gleichgeschlechtliche Sexualität als widernatürlich und damit als Sünde gegen irgendeine Gottheit gebrandmarkt haben (und oftmals sogar mit einer Todesdrohung versehen) , dann wäre die Gesellschaft zwar keineswegs friedfertiger und ganz bestimmt auch nicht ideal, aber zumindest in einem Punkt völlig anders: Es gäbe keine Homophobie, denn die gleichgeschlechtliche Zuneigung würde als Selbstverständlichkeit angesehen und ebenso akzeptiert wie die Heterosexualität. Das ist aber nicht der Fall, und weil es nicht der Fall ist, müssen wir uns gerade in einem schwulen Forum darum kümmern, wie es zur bis heute real existierenden Schwulenfeindlichkeit mit all ihren bitteren Folgen gekommen ist. Hat man schon davon gehört, dass sich jemand wegen seiner Heterosexualität geoutet hat oder geoutet wurde? Sind schon Demos gestartet worden für das Recht auf Heterosexualität, womöglich mit schrillbunten Aufzügen?

Gewiss - wir können uns hier die individuellen Ängste und Freuden eines schwulen Lebens erzählen; die Bewältigung eines schwulen Alltags; die Befürchtungen, die wir hatten oder haben, im Umgang mit unserem gesellschaftlichen und familiären Umfeld. Wir können uns den Ärger von der Seele reden, den wir empfanden, als jemand unsere Liebe zu einem anderen Mann als "widersinnig" bezeichnet hat. Da erinnere ich mich an meine Schulzeit, als ich unsterblich in einen Klassenkameraden verliebt war und mir zu der Zeit die weit verbreitete "Aufklärungsschrift" des Schweizer Theologen und "Sexualthe***uten" Theodor Bovet in die Hände fiel. Da schrieb dieser Ahnungslose doch tatsächlich, es sei ja leicht einzusehen, wie "widersinnig" die Zuneigung zum eigenen Geschlecht sei. Als ich das las, wurde ich wütend und dachte mir, woher dieser Mensch die Unverschämtheit hernähme, mein berauschendes und wunderschönes Gefühl der Liebe als "widersinnig" herunterzuputzen. Damals war ich 14, und heute nach über 50 Jahren frage ich mich noch immer, woher ein anderer Mensch das Recht ableitet, über meine Gefühle der Zuneigung (und die jedes anderen Menschen auch) ein moralisches Urteil zu fällen.
Dieser nichtswürdige Dünkel, die Heterosexualität sei etwas Besseres, etwas "Natürlicheres" als die Homosexualität (leider gibt es auch Schwuppen, die das Umgekehrte verkünden) , bringt mich einfach auf die Palme. Wobei wir uns immer vergegenwärtigen müssen, dass erst durch den 1867 von einem ungarischen Arzt geschaffenen Begriff "Homosexualität" die gleichgeschlechtliche Zuneigung in die einseitige Betonung des Sexuellen abgeglitten ist.

Ich wehre mich energisch gegen jeden Versuch, mit allerlei philosophischem und/oder moralistischem Brimborium die Verachtung und Verfolgung der Homoerotik zu bemänteln. Die Nichtanerkennung der gleichgeschlechtlichen Zuneigung ist und bleibt ein schreiendes Unrecht. Und wir als Schwule haben ein Recht darauf zu erfahren, wer das Rezept zu diesem Giftcocktail der Homophobie erfunden hat und immer noch emsig verteilt.


Geschrieben

Ursache und Wirkung...
Der Ursache kann man gerne auf den Grund gehen, ändert aber leider nichts an der Wirkung.
Deshalb finde auch ich den Beitrag von Sunrise so bemerkenswert, denn er spiegelt etwas wider,
dass kein Geschichtsbuch oder historisches Zitat vermag: Persönlichkeit!
Die Persönlichkeit bei zeitgeschichtlichen Zitaten, historischen Begebenheiten und Verweisen oder Wortgefechten indes vom Schreiber bleibt nämlich der Strecke.
Das war´s eigentlich, was Topi meinte und auch ich würde mich freuen, wenn´s mehr in dieser Richtung weiter ginge. Es sei denn, man möchte sich im Stil eines "literarischen Quartetts" austauschen.
Dafür allerdings ist das Forum kein geeigneter Platz, denn zwei Personen können sich auch per PN austauschen und brauchen keine Zuschauer, es sei denn, sie schreiben allgemein verständlich und zeitnah

×
×
  • Neu erstellen...