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Kardinal Woelki denkt um :-)


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Geschrieben

Wohlan, da bin ich wieder. Ich hatte meinen Account aus Wut über eine unerfreuliche (private) Diskussion mit einem eigentlich von mir sehr geschätzten Mitglied gelöscht. Der Zuspruch einiger User hat mich veranlasst, diesen Schritt zu überdenken. Ich danke euch!

Da hier seit einigen Tagen Funkstille herrscht, darf ich einen neuen Thread zum Thema "Katholische Kirche und Homosexualität" anzetteln. Es macht erstaunen, dass der als erzkonservativ bekannte und offenbar "Opus Dei" nahestehende Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki, der freilich aussieht, als wäre er im Leben zu kurz gekommen, seine bisherige Position ("Homosexualität verstößt gegen die Schöpfungsordnung") überdacht hat. Wie dpa in schlechtem Deutsch berichtet, hält er es für vorstellbar, dass "dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, wo sie in einer dauerhaften homosexuellen Beziehung leben und umgehen, dass das in ähnlicher Weise zu einer heterosexuellen Beziehung anzusehen ist". (Quelle: queer.de)

Darüber müssen wir reden! Es ist nämlich bezeichnend, dass diese so freiheitlich anmutenden Äußerungen Woelkis nichts anderes tun, als das brüchige Ideal der Hetero-Ehe auf Schwule zu übertragen. Nur in festen Beziehungen lebende Schwule sind gute Schwule! Die dürfen vielleicht auch mal den Fuß in eine Kirche setzen. Nun möchte aber nicht jeder (auch nicht jeder Hetero) in einer festen Beziehung leben und trotzdem auf sexuelle Lust nicht verzichten. Gerade der Umstand, dass der homosexuelle Mann keine Kinder großziehen und zu diesem Zweck eine Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft gründen muss, setzt ihn in den Stand, allzu festen Bindungen aus dem Weg zu gehen. Diese als "Hedonismus" verschriene Gesinnung, die sich angeblich aller "Pflichten" entschlägt, kann sehr zweckmäßig sein; es ist nämlich nicht immer die große Liebe, die man findet, sondern gelegentlich auch nur ein angenehmes Beisammensein für eine Stunde oder eine Nacht. Manche meinen sogar, in diesen Stunden und Nächten eine Intensität zu erleben, die sich nicht mehr wiederholen lässt, und verabschieden sich danach auf Nimmerwiedersehen. Das aber geht, so glauben unsere Schwarzröcke, ja nun gar nicht! Jede Begegnung, jede Beziehung muss im Zeichen höherer Aufgaben stehen – nur im Zeichen der Lust darf sie nicht stehen. Was meint ihr?

Geschrieben

Ich fürchte, dass hier möglicherweise ein Missverständnis vorliegen könnte. Ich sehe keinerlei Anhaltspunkit dafür, dass Kardinal Woelki oder die katholische Kirche sich in die Richtung "Nur in festen Beziehungen lebende Schwule sind gute Schwule!" geäußert haben könnte. Meines Wissend nach hat die katholische Kirche sich zu keiner Zeit gegen eine Liebe zwischen zwei Männern (oder zwei Frauen) ausgesprochen - im Gegenteil: Die fraternitas iurata (Schwurbruderschaft) wurde ja sogar ausdrücklich von der katholischen Kirche befürwortet! Es gibt sogar einen eigenen Ritus dafür, bei dem die beiden sich liebenden zu "Brüdern" erklärt und, während sie zum Zeichen der Verbundenheit und Treue mit einem Gürtel aneinander gebunden sind, sich an den Händen haltend um den Altar geführt werden, danach dürfen sie sich sogar küssen.
Der Knackpunkt bei der Sache ist aber, dass ihnen eine einzige Sache verboten ist: Sex.
Liebe, Fürsorge und Verantwortung für einander, der Segen der Kirche für diese Verbindung, alles kein Thema - aber kein Sex!
Hier stellt die Kirche homosexuelle Beziehungen solchen von heterosexuellen Paaren ohne das sogenannte "Sakrament der Ehe" völlig gleich: Sie sind ausdrücklich erlaubt - sofern es nicht zum Sex kommt. Da lässt die Kirche auch nicht mit sich reden (auch nicht Kardinal Woelki). Sex ist nur unter dem Sakrament der Ehe erlaubt und Sex kann nur dem Zwecke der Fortpflanzung dienen. Hier stehen sich ja dabei homosexuelle Paare sogar besser als heterosexuelle ohne kirchlichen Trauschein: Homosexuelle Paare können sich ohnehin nicht fortpflanzen, während heterosexuelle es theoretisch könnten, jedoch nicht dürfen. Mir stellt sich die Frage warum man hier unbedingt mit dem Kopf durch die Wand will - wenn man will kann man doch fraternitas iurata vollziehen und hat damit den Segen seiner Kirche. was zuhause tatsächlich im Schlafzimmer passiert interessiert niemanden, auch nicht die Kirche - sofern man es nicht selbst fahnenschwingend hinausschreit und allen mit Gewalt auf die Nase binden will mit wem man Sex hat.
Man sollte also nicht darüber diskutieren, ob die katholische Kirche ein gestörtes Verhältnis zu Schwulen hat, man sollte darüber diskutieren, ob die katholische Kirche ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität generell hat. Und das hat sie aus meiner Sicht sogar ganz erheblich - und zwar grundsätzlich, wie gesagt.

Geschrieben

Die fraternitas iurata ist doch wohl eine Art Blutsbrüderschaft, die es in vielen Kulturen gibt. Im alten Island z. B. gab es die Eidbrüderschaft. Sie ist aber keine Institution, die gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen regelt. Bluts- oder Schwurbrüder stehen füreinander ein - wie Brüder eben. Woelki spricht, wenn er von homosexuellen Paaren redet, schon explizit von Männern, die eheähnlich miteinander leben, und er wird nicht so naiv sein zu glauben, dass sie nur Händchen halten.


Geschrieben

Eminenz Kardinal Christoph Schönborn ( den einige für einen guten Kandidaten für das Papstamt halten ) hat im Falle der Gemeinde Stützenhofen im österreichischen Weinviertel sehr eigenartig entschieden. Diese Gemeinde hatte doch tatsächlich den schwulen Florian Stangl , der mit seinem Mann in eingetragener Partnerschaft lebt, in den Pfarrgemeinderat gewählt. Der Ortspfarrer protestierte heftig. Er war aber auch der bescheidenere Sünder, da er zwar keinen Geliebten, wohl aber eine Geliebte hatte.
Was tat Eminenz? Schönborn bestätigte die Wahl und lud Stangl und Mann zum Mittagessen ins erzbischöfliche Palais. Dort plauderten die Herren anderthalb Stunden angeregt, und der Kardinal interessierte sich vor allem für den Lebensgefährten. Stangl sieht nun auch etwas wie der oben von @Nackig charakterisierte Kardinal Woelki aus.
Was lehrt uns das? Die Kirche will nun ihre grundsätzliche Stellungnahme nicht ändern. Gottes Weisung ist der Weg zum "Glück", der andere Weg führt nur zur "Lust"- und zwischen Glück und Lust tun sich ja Abgründe auf. Aber wenn es darum geht, es aufmüpfigen Ortspfarrern einmal zu zeigen und sich bei der Presse beliebt zu machen, da laden auch Kardinäle Schwule zum Essen ein und erkennen, dass wir alle mehr oder minder Sünder sind. Die Schwulen nur ein bisschen mehr.- Fazit: Die Kirche denkt nicht um, iverfährt aber in der Praxis im Einzelfall großzügpger mit den Sündern.


Geschrieben


(...) und erkennen, dass wir alle mehr oder minder Sünder sind. Die Schwulen nur ein bisschen mehr




Hmmm, wo und wie hat denn die katholische Kirche sich jemals geäußert, dass die Schwulen "ein bisschen mehr" Sünder wären? Mir fällt da ehrlich gesagt kein Beispiel zu ein. Meines Wissens nach behandelt sie homosexuelle Partner, die sich sexuell betätigen, exakt ganz genauso wie heterosexuelle Partner ohne ihr heiliges Sakrament der Ehe, die sich sexuell betätigen. Ich sehe da eine vollständige Gleichstellung und auf keinen Fall eine Diskriminierung von Schwulen. Diskriminiert wird jegliche Form der sexuellen Betätigung außerhalb dieses der reinen Fortpflanzung dienenden "Sakramentes", völlig gleichgültig wer sich da wie betätigt. Wenn ich mich recht entsinne ist für eine solche "Sünde" ja noch nicht einmal ein Partner erforderlich, da ja auch Selbstbefriedigung darunter fällt, oder? Ich sehe also keinen Grund die katholische Kirche wegen angeblicher Diskriminierung von Schwulen an den Pranger zu stellen. Sie diskriminiert keine Schwulen, sondern die Sexualität.


Geschrieben


Meines Wissens nach behandelt sie homosexuelle Partner, die sich sexuell betätigen, exakt ganz genauso wie heterosexuelle Partner ohne ihr heiliges Sakrament der Ehe, die sich sexuell betätigen. Ich sehe da eine vollständige Gleichstellung und auf keinen Fall eine Diskriminierung von Schwulen.




Da könntest Du aber leicht auf dem Holzweg sein.
Oder erteilt die katholische Kirche neuerdings das heilige Sakrament der Ehe an gleichgeschlechtliche Paare? Von einer vollständigen Gleichstellung kann deshalb gar keine Rede sein.
Eine vollständige Gleichstellung kannst Du doch nur dann sehen, wenn Schwule von der Kirche ebenso behandelt und angesehen werden, wie das bei Heten der Fall ist und dazu wird´s in unserem bescheidenen Leben wohl nicht mehr kommen, es sei denn, die Bibel wird umgeschrieben und neu definiert :P


Geschrieben


Da könntest Du aber leicht auf dem Holzweg sein.
Oder erteilt die katholische Kirche neuerdings das heilige Sakrament der Ehe an gleichgeschlechtliche Paare? Von einer vollständigen Gleichstellung kann deshalb gar keine Rede sein.
Eine vollständige Gleichstellung kannst Du doch nur dann sehen, wenn Schwule von der Kirche ebenso behandelt und angesehen werden, wie das bei Heten der Fall ist (...)




Also dann noch einmal: Sie behandelt homosexuelle Paare genau gleich wie heterosexuelle Paare! Ein Zusammenleben in Liebe, Fürsorge und Verantwortung für einander ist in beiden Fällen auch ohne dieses Sakrament ausdrücklich erlaubt - sofern es in beiden Fällen nicht zum Sex kommt! Sex ist in der katholischen Kirche ausschließlich unter besagtem Sakrament der Ehe erlaubt. Dass dieses Sakrament natürlich nur an ein Paar, dass aus jeweils einem Mann und einer Frau besteht, vergeben wird, erklärt sich keineswegs aus einer Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren, sondern aus der einfachen Tatsache heraus, dass sich eben nun einmal nur ein Paar, dass aus einem Mann und einer Frau besteht, miteinander fortpflanzen kann. Für den Sachverhalt, dass gleichgeschlechtliche Paare sich nicht fortpflanzen können ist aber nicht die katholische Kirche verantwortlich, sondern die Natur. Und jetzt kommen wir wieder zum Punkt: Die katholische Kirche erlaubt Sex eben nur zum Zwecke der Fortpflanzung (also u. a. auch nicht zum Zwecke der Selbstbefriedigung!). Und das geht nun einmal bei homosexuellen Paaren nicht. Ergo: Bevor die katholische Kirche sich mit dem (nachgeordneten! Problem homosexueller Paare beschäftigen sollte, sollte sich ja wohl ganz klar zunächst mit dem übergeordneten Problem von Sexualität befassen, die eben nicht der Fortpflanzung dient. Und das ist unter vielen anderen auch Sex unter Homosexuellen - aber eben ganz genauso auch Sex unter heterosexuellen Paaren ohne dieses Sakrament der Ehe, Selbstbefriedigung oder auch "unbotsamer" *graus* Sex unter heterosexuellen Paaren mit dem Sakrament der Ehe! Wenn die katholische Kirche das einmal gelöst hat (es also "erlaubt" ), dann bin ich voll und ganz überzeugt, dass sie homosexuelle Paare davon nicht explizit ausnehmen wird. Der Fehler in deinem Gedankengängen scheint also zu sein, dass Du ein ganz klar nachgeordnetes Problem vor das übergeordnete stellen willst um der katholischen Kirche eine Diskriminierung von homosexuellen Paaren nachweisen zu wollen. Das wäre aber alles andere als fair - und schon gar nicht logisch. Meiner Ansicht nach hat sich die Kirche vollständig aus diesem Thema herauszuhalten - genauso wie Staat und Gesellschaft, sofern es nicht zu Gewalthandlungen kommt oder irgendetwas gegen den Willen des anderen passiert. Ironischerweise ist es allerdings sogar so, dass die katholische Kirche dieses "gegen den Willen des anderen" erschütternderweise recht locker sieht und sich da auf angebliche "eheliche Pflichten" beruft - sofern sie dann unter ihrem heiligen Sakrament von einem der Partner "verlangt" werden. Noch einmal: Die Fragestellung von "erlaubtem" Sex unter gleichgeschlechtlichen Paaren ist nachgeordnet.


Geschrieben

Und genau damit geht die Kirche an den Bedürfnissen Homosexueller vorbei,
die Gleichstellung bleibt ihnen schlicht verwehrt.


Geschrieben

Die Kirche (für mich gibt es nur die "eine,heilige") kennt allerdings Sünden ganz unterschiedlicher Art. Es gibt geradezu Hierarchien von Sünden. Homosexuelle Akte gehören in die höchste Kategorie, sie sind "peccata ad coelum clamantia" ("himmelschreiende Sünden."). Die Kirche weiß auch, dass Sexualität neben der Fortpflanzung auch anderen Zwecken dient, nämlich der Stillung der "Begierde" (Es gibt leider Menschen, die immer "brennen", daher muss vor allem die Frau ihre ehelichen Pflichten erfüllen,obwohl ihr Sex eigentlich wesensfremd ist) und auch dem Vergnügen der Ehepartner. Nur besteht man darauf, dass der Zweck der Fortpflanzung bei sexuellen Akten nicht völlig ausgeschaltet wird. In ihrer überreichen Güte erlaubt die Kirche aber die "natürliche" Verhütungsmethode der unfruchtbaren Tage.
Das Problem der Homosexualität hat meines Erachtens das Judentum im Talmud in idealer Weise gelöst. Kein Jude kann demnach schwul sein, denn das Schwulsein beweist, dass er kein Jude ist. Die Kirche könnte sich hier bei den älteren Brüdern noch Rat holen.


Geschrieben


Und genau damit geht die Kirche an den Bedürfnissen Homosexueller vorbei,
die Gleichstellung bleibt ihnen schlicht verwehrt.




Sie geht mit ihrer grundsätzlichen Diskriminierung der Sexualität im Sinne von Lust und Lebensqualität an den Bedürfnissen aller Menschen vorbei (ausgenommen einer inzwischen längst vergleichsweise kleinen aber gehorsamen Gruppe von Fügsamen). Dass sie dabei u. a. (!) auch an den Bedürfnissen der Homosexuellen vorbeigeht ist natürlich richtig aber es ergibt sich eben als nachgeordnetes Problem aus dem übergeordeten Hauptproblem heraus. Es findet daher also keine explizite Diskriminierung von Homosexuellen statt. Würde die Kirche davon ablassen, Sexualität als von der Natur gegebenes "göttliches" Instrument zum Zwecke der Fortpflanzung zu betrachten, dann würde sie im Nebeneffekt homosexuellen Paaren sicher auch ihr heiliges Sakrament der Ehe gewähren - oder aber, und das wäre vielleicht noch besser und dann auch konsequenter, sie würde dieses "heilige Sakrament der Ehe" dann gleich ganz abschaffen und es den Menschen überlassen mit wem sie ihr Leben auch im Bett teilen wollen.


Geschrieben

"Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen." - Leviticus 20,13

Den Bibelspruch sollte eigentlich jeder kennen, ebenso die Haltung von Papst Benedikt XVI
Bereits 1986 gab es von ihm ein Schreiben an die Bischöfe, aus dem ich zitiere und zu dieser Haltung steht er und die katholische Kirche heute immer noch...




Wie es bei jeder moralischen Unordnung der Fall ist, so verhindert homosexuelles Tun die eigene Erfüllung und das eigene Glück, weil es der schöpferischen Weisheit Gottes entgegensteht. Wenn die Kirche irrige Meinungen bezüglich der Homosexualität zurückweist, verteidigt sie eher die — realistisch und authentisch verstandene — Freiheit und Würde des Menschen, als daß sie diese einengen würde.




Geschrieben

Was das 3.000 Jahre alte Zitat aus der Tora betrifft, so bitte ich dich! Kein Mensch wird heute "des Todes sterben" müssen, wenn er unter der Fuchtel der katholischen oder auch jeder anderen mir bekannten christlichen Kirche explizit den Analsex mit einem Mann betreibt! Und das betrifft in gleichem Maße auch das Judentum selbst, das (von einigen wenigen othodoxen unverbesserlichen Eigenbrödlern einmal abgesehen) schon immer sehr realistisch mit den vielen tausende Jahre alten "Regeln" umzugehen wusste, sie eher als eine nette oder auch weniger nette Überlieferung, denn als trotziges "Gottesgesetz" (das sich ja Menschen einmal in ihrer jeweiligen, längst vergangenen, Zeit ausgedacht hatten) betrachten. Ich zitiere einmal aus der Wikipedia ein Beispiel aus der tatsächlichen Situation homosexueller Paare im jüdischen Staat:




Ein ausländischer homosexueller Partner/in eines/r Israelis/n bekommt seit dem Jahr 2000 - auch ohne juristische Verpartnerung - zunächst ein zeitlich befristetes Wohnrecht in Israel, das nach Jahren in den unbefristeten Status und schließlich in die israelische Staatsbürgerschaft umgewandelt werden kann.




Was denn noch? Abgesehen davon, dass eine solche juristische Verpartnerung natürlich auch in Israel möglich ist, ist sie nicht einmal notwendig! Vergleiche das mal mit der Situation z. B. in Deutschland.
Was die 26 Jahre alten Äußerungen des heutigen Papstes betrifft, so mag es vielleicht sein, dass er heute noch genauso denkt - doch auch diese Äußerungen fußen nur wieder, wie ich es oben schon mehrfach geschrieben hatte, auf dem angeblichen "göttlichen" Instrument der Fortpflanzung, das homosexuelle eben nicht anwenden können. Sie siend damit aber genauso betroffen wie heterosexuelle Paare, die Sex zur Freude bzw. ausdrücklich unter dauerhaftem absichtlichem Verzicht auf Fortpflanzung betreiben. Die 26 Jahre alten Äußerungen von Herrn Ratzinger richten sich daher lediglich auch gegen Homosexuelle (untergeordnet eben). Er schreibt ja selbst:




Wie es bei jeder moralischen Unordnung der Fall ist (...)




Wenn Du einen Text findest, der nicht gerade 3.000 Jahre alt ist, bei dem aktuell heterosexuellen Paaren der Sex zum Spaß audrücklich erlaubt und im gleichen Kontext dieses explizit homosexuellen Paaren aber verboten ist, dann kann ich dir folgen!


Geschrieben

Und wenn Du mir den Tag nennen kannst, an dem Schwule mit dem Segen der katholischen Kirche heiraten dürfen, dann kann ich auch Deiner Theorie der Gleichstellung folgen. In dem Sinn richtet sich die Kirche immer noch nach der heiligen Schrift. Ginge es uns gegenüber nach dem Willen der Kirche, so wären wir zur ewigen Keuschheit verdammt, ein Glück aber, dass wir in einem freien Land leben und auf die Kirche verzichten können.


Geschrieben


Und wenn Du mir den Tag nennen kannst, an dem Schwule mit dem Segen der katholischen Kirche heiraten dürfen, dann kann ich auch Deiner Theorie der Gleichstellung folgen.




Ohne den komplexeren Hintergrund beleuchten zu wollen oder auch zu können wirst Du damit sicherlich den sofortigen Beifall eher bildungsfremder Schichten erhalten (und nein: Das soll keine Diskriminierung sein, es hat auch noch niemand etwa ein "gefällt mir" darunter gesetzt!).




Ginge es uns gegenüber nach dem Willen der Kirche, so wären wir zur ewigen Keuschheit verdammt




Genau! Alle die sexuelle Betätigung nicht als "göttliches" Instrument zum Zwecke der Fortpflanzung nutzen, alle, also heterosexuelle Paare genauso wie homosexuelle Paare!




ein Glück aber, dass wir in einem freien Land leben und auf die Kirche verzichten können.




Na ja, das mit dem freien Land mag ja relativ sein aber dass es ein Glück ist, dass wir alle auf die Kirche verzichten können, da sind wir uns vollkommen einig. :-)


Geschrieben

Interessant die Argumentationsstrategie in diesem Thread. Das Ziel der beiden Vorkämpfer ist das gleiche. Es geht um die Verurteilung der Kirche.@ Silberblick sieht in ihr die Hauptschuldige an der Diffamierung der Schwulen,@Jaund möchte die Anklage noch erweitern: Die Kirche verurteilt jegliche sexuelle Lust, die nicht der Fortpflanzung dient.Dann kann man da nur weglaufen!
Ich hatte einen bescheidenen Einwurf versucht und darauf aufmerksam gemacht, dass die Kirche bei ihren Wertungen natürlich dem Gesetz des sog. Alten Bundes folgt ( der ja mit dem "Neuen Testament" nicht aufgelost ist). In der Thora findet man die Wurzel des Übels. @Jaund bagatellisiert den Einwand mit Hinweis auf die angeblich laxe Praxis ultraliberaler Juden und auf die praktische Handhabung der Einbürgerungsbestimmungen im heutigen Israel. Vielleicht liegt dem Staat Israel die Einwanderung von Juden so sehr am Herzen,dass er ihre sexuelle Orientierung gnädig übersieht?! Und laxe Praxis haben wir ja auch in der Kirche, der Kardinal sitzt mit den Sündern am Tisch, duldet sie im Gemeinderat. Manche Katholiken wissen vor lauter Liberalität nicht mehr, dass das Evangelium auch strenge Gebote und Verbote enthält.
Ich kann mir nicht vorstellen , dass Juden bei all ihrer Verehrung der Thora und der minutiösen Diskussionen im Talmud sich auf @Jaunds Ultraliberalismus einlassen würden. Vielleicht ein paar in New York, aber was bedeutet das schon?


Geschrieben


Das Ziel der beiden Vorkämpfer ist das gleiche. Es geht um die Verurteilung der Kirche.




Gut erkannt, man kann sich auch mit einer kontroversen Meinung gegenseitig die Türen einrennen,
ohne den Eingang zu sehen

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Geschrieben

Auch wenn ich irgendwie den Eindruck habe, dass Du mich möglicherweise bewusst aufs Glatteis zerren willst (unsere Meinungen zu den Themen Deutschland, Juden, Israel und Nahost könnten ja unterschiedlicher kaum sein), hier ganz kurz noch einmal zu diesem eigentlichen Offtopic - dir war ja von vornherein klar, dass ich das so nicht stehen lassen kann, nicht wahr?




@Jaund bagatellisiert den Einwand mit Hinweis auf die angeblich laxe Praxis ultraliberaler Juden und auf die praktische Handhabung der Einbürgerungsbestimmungen im heutigen Israel. Vielleicht liegt dem Staat Israel die Einwanderung von Juden so sehr am Herzen,dass er ihre sexuelle Orientierung gnädig übersieht?! (...) Ich kann mir nicht vorstellen , dass Juden bei all ihrer Verehrung der Thora und der minutiösen Diskussionen im Talmud sich auf @Jaunds Ultraliberalismus einlassen würden. Vielleicht ein paar in New York, aber was bedeutet das schon?




Wovon Du das sprichst sind orthodoxe oder gar ultraorthodoxe Betonköpfe. Verblendete arme Menschen, die ihr Glück im Leben nicht gefunden haben (oft schon als Kinder durch himmelschreiende, ja fast kriminelle Erziehungsfehler ebenso verblendeter Eltern, die es meist ebenfalls leider nicht anders gelernt hatten). Dies Menschen suchen nach dem Glück im Jenseits oder zumindest in irgendwelchen hanebüchenen mystischen Dingen statt im Leben. Solche Menschen gibt es im Judentum, wie auch im Katholizismus. Schlimm! Diese Menschen vertun ihr Leben damit, sich fügsam nach allen diesen strengen Geboten und Verboten zu richten und all jene zu verteufeln, die "dem Wort Gottes" nicht folgen wollen. Diese Menschen werfen ein schlechtes Licht auf ihre Religion (im Judentum, wie auch im Katholizismus), bzgl. der ultraorthodoxen Juden werfen diese ein schlechtes Licht sogar auf ein ganzes Volk. Das schlimmste aber ist, dass sie ihren eigenen Kindern das freie Leben nehmen, in dem sie ihnen dieses schlicht vorenthalten - unentschuldbar! Gott sei Dank ist es aber so, dass Du mit deiner Relativierung, es würde sich bei den freien und offenen Menschen um angebliche "ultraliberale Juden" handeln, von denen es vielleicht ein paar wenige in New York geben und die "nichts bedeuten" würden, so etwas von voll daneben liegst! Was Du als "ultraliberal" bezeichnets ist nämlich die große Mehrheit und somit ganz normal, also die Regel! Die Menschen sind heute (leider allerdings nicht in allen Regionen dieser Erde) weitaus intelligenter als vor hunderten oder gar tausenden von Jahren, daher lassen sie sich auch nicht mehr so einfach zur Fügsamkeit erpressen und willig in irgendeine Richtung führen - sie haben gelernt selbst zu entscheiden, Juden genauso wie Christen! Zum Schmunzeln hast Du mich nur mit diesem kleinen Versuch gebracht, der meine Aussage relativieren sollte: "Vielleicht liegt dem Staat Israel die Einwanderung von Juden so sehr am Herzen,dass er ihre sexuelle Orientierung gnädig übersieht?!".
Wozu sollte man hier etwas "gnädig übersehen"? Bei den erwähnten homosexuellen ausländischen Partnern, die ein Bleiberecht und später sogar die Staatsbürgerschaft erhalten, handelt es sich natürlich ausschließlich um homosexuelle Nicht-Juden! Warum? Ganz einfach: Aufgrund des Rückkehrgesetzes, das als erstes Gesetz überhaupt nach der Staatsgründung Israels angenommen wurde. Das Rückkehrgesetz garantiert allen Juden auf dieser Erde das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft. Die von mir erwähnten homosexuellen Parter von Israelis, die - auch ohne juristische Verpartnerung, also ganz frei - das Recht haben nach Israel zu ihrem Parnter zu ziehen und später sogar die Staatsbürgerschaft erwerben können, sind also sowieso alle keine Juden (sonst fielen sie automatisch unter das Rückkehrgesetz und die ganze Sache wäre überflüssig). Was gäbe es da also "gnädig zu übersehen"?


Geschrieben

Lieber @Jaund , ich hatte nie die Absicht, dich aufs "Glatteis" zu zerren. Ich lerne gern und lasse mich auch bereitwillig überzeugen. Du hast aber richtig bemerkt, dass mir ein gewisser Liberalismus nicht gefällt, gleichgültig, in welchem System er auftritt. Er verdünnt nämlich die Substanz, bis nichts mehr da ist.
Nun mag ich keine ultraorthodoxen Juden, aber aus einem albernen Grund: Ich finde Haartracht und Kleidung so unästhetisch, dass ich mir fast nicht vorstellen kann, dass solche Menschen sich freiwillig so entstellen. Aber ihr Beharren auf ihrem alten Glauben bewundere ich. Wenn ich dich recht verstehe, ist das für dich ein Weg der Verdummung, des Unglücks, und in dieser abfälligen Bewertung von Mythos und Religion befindest du dich in einer Linie z.B. mit @Minotaurus. Ich habe mich immer gescheut, die Erfahrungen aus Jahrtausenden gelassen zum Fenster hinaus zu werfen, auch dann- und das tut auch mir weh-wenn es sich um Urteile über Homosexualität handelt.Auch da - wie bei anderen Problemen- suche ich nach einem rationalen Kern.
Von den Einbürgerungsstimmungen in Israel scheine ich falsche Vorstellungen zu haben. Ich hörte nur von den Schwierigkeiten der Kinkel-Tochter.
Sehr gelacht habe ich über deine Feststellung, dass die Menschen heute "sehr viel intelligenter" und selbständiger sind als in früheren Zeiten. Angeblich lassen sie sich nicht mehr so leicht manipulieren, sind frei, emanzipiert usw.
Ich möchte nicht gerade das Gegenteil behaupten, aber zeugt dein Urteil nicht von einer überschwänglichen Naivität?


Geschrieben


Die Menschen sind heute ... weitaus intelligenter als vor hunderten oder gar tausenden von Jahren, daher lassen sie sich auch nicht mehr so einfach zur Fügsamkeit erpressen und willig in irgendeine Richtung führen - sie haben gelernt selbst zu entscheiden.



Intelligenter wohl kaum, zumal wenn man bedenkt, dass "Intelligenz" eine erst im 20. Jahrhundert von Psychologen aufgestellte und höchst allgemein formulierte Eigenschaft ist, nach der Menschen früherer Jahrhunderte sich nicht zu differenzieren pflegten. Sie bemaßen ihre Bedeutung schlichtweg nach dem Geleisteten. Heute hingegen kann so mancher computerspielende Sofabewohner sich hinter seiner "Intelligenz" verbergen.

Richtig ist, dass dem einzelnen inzwischen ein breiteres Grundlagenwissen zur Verfügung steht. Er ist von den Quellen des Wissens auch nicht mehr durch Analphabetismus getrennt. Aufklärung und Französische Revolution haben ihn gelehrt, dass er mehr sei als ein Rädchen im Getriebe der Geschichte, so dass er sich nicht mehr einfach mit der Knute niederhalten lässt, als ob es sein Schicksal wäre, ewig nur der Unterworfene zu sein. Es bedarf schon subtilerer Methoden, ihn in eine Knechtschaft zu führen, die er als solche gar nicht bemerkt, sondern für individuelle Freiheit hält.


Geschrieben


Wenn ich dich recht verstehe, ist das für dich ein Weg der Verdummung, des Unglücks, und in dieser abfälligen Bewertung von Mythos und Religion befindest du dich in einer Linie z.B. mit @Minotaurus.




Ouh jouh, ganz bestimmt tue ich das! Uiiii, da war wohl gerade das Glatteis ... ;-)
Du hast es aber schon richtig verstanden - in der Tat war ein wichtiger Gesichtspunkt bei den Religionen (wieder sowohl beim Judentum, als auch beim Christentum) der, die Menschen in eine Art "Volksgemeinschaft" zusammenzuschließen, sie gleichzeitig fügsam und unterwürfig zu machen, ihnen aufzuzeigen, dass es auch "irdische Vertreter des Herrn" gäbe, denen ebenso unbedingter Gehorsam und Respekt entgegenzubringen ist. In letzter Konsequenz gab es dann auch noch Könige und Kaiser "von Gottes Gnaden", denen dieser Respekt und unbedingter Gehorsam "als Wille Gottes" dann genauso entgegenzubringen war. Religion als Mittel sich Menschen gefügig zu machen. Aufgrund der erheblich gesteigerten Bildung der Menschen, zumindest in der westlichen Hemisphäre, funktioniert das aber Gott sei Dank dort nicht mehr so einfach. Im Islam hingegen funktioniert es z. Z. noch prächtig, doch wir wollen alle hoffen, dass auch diese Menschen bald einmal aufwachen werden. Das alles ist allerdings kein Monopol der Religionen - es findet sich exakt genauso im Sozialismus! Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um linken Sozialismus handelt oder um Nationalsozialismus, beides ist Sozialismus und beides verfährt nach dem gleichen niederträchtigen Schema, wie es auch die Religionen taten und zum Teil noch immer tun: Die Idee Menschen zu einer "Volksgemeinschaft" zusammenschließen zu wollen um sie sich gefügig und untertan zu machen. Ihnen vorspielen, sie wären als Individuum gar nichts und alles würde nur einem höheren Zweck dienen, weshalb sie sich in die jeweils erfundene "Volksgemeinschaft" fügsam einzugliedern und ihrem jeweiligen Herrschaftskader (völlig egal ob Klerus oder Politkader, das ist nach Belieben austauschbar) fügsam zu gehorchen hätten. Und alle, Religionen wie Sozialismus, bedienen sich ähnlicher Instrumente, wobei die Zensur (oder der Index der katholischen Kirche) eines der wichtigsten ist, da es dazu dient die Menschen auch weiterhin so dumm wie möglich zu halten, damit sie fügsam bleiben. Zur Sache Kinkel kannst Du einen eigenen Thread erstellen, wenn Du magst, denn das wäre dann vollkommen offtopic.


Geschrieben

Was haltet ihr indes von einem möglichen Sinneswandel, wie Kardinal Woelki es formulierte?
Hat er genug Einfluss und könnte ein entsprechendes Schreiben an die Bischöfe verfassen,
wie seiner Zeit Ratzinger, als der noch Kardinal war?
Zumindest wäre das ein kleiner Schritt in unsere Richtung,
auch wenn uns weiterhin das Sakrament der Ehe verwehrt bleibt.
Zum Auffrischen nochmal der genaue Wortlaut
aus dem christlichen Informationsforum

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Geschrieben

@ Jaund Ich verstehe vollkommen, dass dir offenbar jede Form von "Gemeinschaft" (sei es Volksgemeinschaft,Religionsgemeinschaft oder auch Klassenbewusstsein) suspekt ist, da sie die Freiheit des Individuums antastet und mit Lug und Betrug arbeitet. Aber fragst du dich nicht auch, ob diese "Gemeinschaften" nicht positivere Aspekte haben, als du es wahrhaben willst? Wären sie ohne diese Aspekte wohl zu dieser Geschichtsmächtigkeit gekommen, vor der das arme , vereinzelte Individuum lamentierend steht?-Spricht nicht die Heftigkeit deiner Interventionen dafür, dass auch du Solidarität mit Gemeinschaften übst, die du explizit nicht nennst?
Von der Kinkelsache weiß ich wenig, sie reicht auch zu keinem Thread.
@Jagenau Wie auch dein voriger Beitrag mir in jeder Hinsicht angenehm. Bleib nur hier.Vergiss bitte "paides".
@Silberblick Du lenkst geschickt und freundlich zum Thema zurück. Danke,das ist guter Stil! Zu deiner Frage: Die Kirche ist kein Verein, der seine Satzungen nach der jeweiligen Laune der Mehrheit seiner Mitglieder wechselt. Sie kommt weit aus der Tiefe der Geschichte, ein großer und beeindruckender Versuch, das wirre Dasein zu ordnen. Daher wird die Kirche uns Schwulen wphl die gleiche Antwort geben wie den Damen, die so gerne als "Priester" posieren möchten : WIR HABEN KEINE VOLLMACHT! Aber menschlich wird man etwas freundlicher mit uns umgehen, uns zu Tisch laden oder sogar passable Beziehungen pflegen, wie es der Kardinal z.B. mit Herrn Wowereit tut.
Aber "ungeordnet" wird sie unser Leben weiter finden. Das ist traurig. Tröstlich aber ist es, dass hier eine Institution noch an ihren Ordnungen festhält und nicht im Malstrom sich treiben lässt. Zu meinem Entsetzen habe ich gelesen, dass es heutzutage sogar Rabbinerinnen gibt- in New York, glaub ich.


Geschrieben

Religionen als Instrumentarium zur Unterdrückung, auf einer Stufe stehend mit totalitären Ideologien; die alttestamentlichen Propheten, Christus oder Mohammed als Märchenonkel, die das Volk hätte verlachen sollen, als sie erschienen; die heiligen Schriften als dazugehörige Märchenbücher, weniger wert als ein Kochbuch; religiöse Inbrunst als Hysterie, die unter die Botmäßigkeit der Psychiater gehört: so kennt man die nivellierende Rede, die von den Sachwaltern des Fortschritts ausgeht. Aber was – die Frage sei angesichts der höhnischen Arroganz, mit der sie auftreten, dennoch gestattet – bleibt übrig, wenn man ihnen glaubt? Das Individuum, das traditions- und bindungslos zwischen käuflichen Verführungen umhertaumelt und sein Leben als ewige Party inszenieren zu müssen glaubt, und der Tanz um das Goldene Kalb als einziger noch statthafter Kult. Die Leere, die dieses Dasein durchwaltet, spürt der einzelne als Depression. Seine angeblich so mühsam errungene Wahlfreiheit führt ihn geradewegs in die Verzweiflung zwanghafter Selbstverwirklichung. Seine Kraft, sich selbst allein genug zu sein, reicht aber nicht aus. Nur Götter sind sich selbst genug. Deswegen beten wir sie ja an, und nicht sterbliche Menschen und ihr Werk.


Geschrieben

Vielen Dank, lieber@Jagenau, für deinen schönen Text, für deine Verteidigung der Werte des Heiligen und deinen Zweifel am armen Prothesengott Mensch, der den armseligen Gesichtskreis seines Erkennens mit dem Wesen der Welt verwechselt. Es gilt, zu unterscheiden. Nicht alles ist gleich.
Die Kirche in Deutschland und in einigen europäischen Ländern mit ähnlichen Problemen ist in voller Auflösung. Sie verschleudert tagtäglich ihr Tafelsilber und ist der albernen Auffassung, dass Frauenordination, Zulassung der Geschiedenen zur Wiederverheiratung, Verzicht auf den Zölibat die religiösen Hauptprobleme der Gegenwart sind. In solchem Chaos könnte es auch uns Schwulen gelingen, unsere Wünsche zur Geltung zu bringen. Gerade der oben von mir ironisierte Kardinal Schönborn ist ein Hauptvertreter einer atemlosen Modernisierung, an deren Ende eine Kirche ohne Kern stehen wird. Das ist dann ein Gutmenschenverein, gereinigt von allem metaphysischen Rest, ein Verein, in dem man sich aber wohlfühlen kann. Ein Pfarrfest jagt das andere,die Qualitäten des Priesters liegen wesentlich in der Animation und dem Entertainment, über der Frage der innertrinitarischen Verhältnisse wächst keinem mehr ein graues Haar. Aber es gibt ja noch die Weltkirche, die vielleicht den rüstigen Modernisierern in Europa in die Parade fahren wird.
All dies macht mir so starke Sorgen, weil es sich in die Welle der Globalisierung einpasst. Neben den Religionen verschwinden die Nationen. mit ihrer Volkswirtschaft.Alle Lebensbereiche werden internationalisiert , ebenso wie Bildung ,Wissenschaft und Forschung.Sogar die Geschlechter werden angeglichen. Der asexuelle Michael Jackson, dem nach vielen ärztlichen Eingriffen alles Mannsein abhanden gekommen ist, erscheint als der vorbildliche Typ. Auch für uns Schwule? Also, mir liegt gerade hier an der Differenz.


Geschrieben

@Nuwas, da sind wir uns völlig einig. Was sich so geschickt als "Individualisierung" präsentiert, ist in Wahrheit eine Monadisierung, eine Vereinzelung, Bindungslosigkeit. Der von allen Traditionen losgelöste einzelne ist das wehrlose Opfer eines subtilen Systems, das den jederzeit konsumfreudigen, nach den Gesetzen des Weltmarktes funktionierenden Einheitsmenschen hervorbringt. George Orwell ("1984") entwarf eine Diktatur der Anonymität, die den Menschen ununterbrochen mit Propaganda berieselt und ihn gleichzeitig permanent beobachtet, aber dieser Mensch ist immer noch in der Lage, seine Unterdrückung zu erkennen. Das Buch hat sein Verfallsdatum nun bald dreißig Jahre hinter sich, und wir finden eine Generation vor, die sich in nie dagewesener Weise zur Schau stellt und sich dem Zugriff eines immer feineren, auf das Unbewusste abzielenden Manipulationsapparates aussetzt: und diese Selbstaufgabe nennt sie "Individualisierung". Die Vereinheitlichung reicht bis in feinste Verästelungen der Sprache und der alltäglichsten Gedankengänge. Das Leben ist vollständig vorgeplant, und "Freiheit" zeigt sich allenfalls in der Wahl zwischen zwei Konsumvorgängen. Da die Politik mittlerweile ein Teil oder ein Exponent jenes Apparates ist, erwarte ich Widerstand - auch in radikaler, militanter Form - nur noch von den Religionen, insonderheit vom Islam. Sofern die Religionen schließlich korrumpiert werden, wird sich die Katastrophe nicht als Weltkatastrophe (dies vielleicht auch - als Zusammenbruch des ökologischen Systems), sondern als Implosion der Seelen zeigen, wie schon oben angedeutet. Die Depression ist bereits jetzt die Volkskrankheit Nummer Eins. Zwanzig Jahre weiter, und es laufen nur noch durch den Konsum von "Prozac" angetriebene Zombies durch die Gegend, die auf die Frage nach ihrem Befinden sagen werden: "Wir haben das Glück erfunden!"

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